Kontroverse um die Freihandelsvertrge

Verschiedene Leser von haben wegen unserer Behauptung in der Ausgabe 8/1999 auf Seite 1 Die bilateralen Verträge vernichten unsere Freihandelsverträge das eidgenössische Integrationsbüro angefragt, ob das richtig ist. Wie das Integrationsbüro unsere Abklärungen zuerst erschwert hatte, offenbart dieser Beitrag. Damit alle verstehen, um was es geht, sind zuvor die verwendeten Begriffe zu erklären:

Die Unterschriftensammlung Bilaterale Verträge vors Volk! richtet sich gegen den Bundesbeschluss über die Genehmigung der sieben sektoriellen Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft (EG). Diese sieben Abkommen werden meistens bilaterale Verträge oder bilaterale Abkommen genannt. Die Schweiz hat schon seit vielen Jahren mit allen europäischen Ländern bilaterale Verträge, oder anders gesagt zweiseitige Abkommen. Im folgenden ist daher zwischen den neuen bilateralen Verträgen und den über 100 bestehenden bilateralen Verträgen zu unterscheiden.

Zusätzlich kennen wir das Freihandelsabkommen. Um dieses entfachte sich eine umfangreiche Korrespondenz zwischen dem Presseclub Schweiz und dem Integrationsbüro, die zu veröffentlichen hier den Rahmen sprengen würde. Anstoss für den Briefwechsel war die Zuschrift eines Abonnenten, der von Herrn David Best (DB) vom Integrationsbüro folgende Antwort erhielt:

DB: Die Aussage, die bilateralen Verträge würden das Freihandelsabkommen von 1972 vernichten, macht Sie zu recht stutzig. Sie ist nämlich schlicht und einfach falsch. (Brief vom 13.11.1999 an Herr W. in St. Gallen.)

Die wichtigsten Antworten von Herrn David Best auf unsere Fragen lauteten:

DB: Das Freihandelsabkommen bleibt auch nach dem Inkrafttreten der nun vorliegenden sektoriellen Abkommen unverändert in Kraft. (Von Herrn Best mehrmals wiederholte Erklrung. Anm. d. Red.)

DB: Der von Ihnen zitierte Passus betrifft nicht das Freihandelsabkommen, sondern die [] bestehenden bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und den einzelnen EU-Mitgliedstaaten.

DB: [] die bestehenden zweiseitigen Verträge mit den einzelnen EU-Mitgliedstaaten [werden] suspendiert, solange das Personenfreizügigkeitsabkommen in Kraft ist. Im Falle eines Ausserkrafttretens des Personenfreizügigkeitsabkommens würden die alten zweiseitigen Abkommen wieder aufleben. (Diese klare Vereinbarung fehlt in den Vertrgen. Anm. d. Red.)

Darauf antworteten wir Herrn Best das Folgende:

R+F: Unsere gegensätzlichen Ansichten ergeben sich offenbar dadurch, dass von den Freihandelsabkommen statt von den bestehenden bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und den einzelnen EU-Mitgliedstaaten gesprochen wurde.

Unsere wichtigste Frage war folgende:

R+F: Wie und wo ist in den sieben Verträgen geregelt, dass die suspendierten (alten) Abkommen im Falle eines Ausserkrafttretens der (neuen) bilateralen Abkommen wieder vollständig in Kraft treten?

Die eintreffende Antwort konnten wir nicht gelten lassen. Wir beschlossen daher, uns beim obersten Chef des Integrationsbüros, Herr Botschafter Bruno Spinner zu beschweren. Unser Brief vom 4. Dezember 1999 hat folgenden Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Botschafter

Wir haben Herrn David Best vom Integrationsbüro mit Schreiben vom 28. November 1999 vier präzise Fragen gestellt. Als Beilage erhalten Sie Briefkopien unserer Anfrage und des Antwortbriefes zu Ihrer Orientierung. Entweder ist Herr Best nicht willens oder nicht fähig, uns die einfachen Fragen zu beantworten. Wir wenden uns daher in dieser Sache direkt an Sie mit der Bitte, uns die gewünschte Auskunft zu erteilen.

Herr Best behauptet mit Brief vom 26. November 1999, dass die bestehenden zweiseitigen Verträge (bzw. Teile davon) mit den einzelnen EU-Mitgliedstaaten nur suspendiert werden und nach einer Kündigung der sektoriellen Abkommen wieder aufleben würden. Laut Art. 59 Ziffer 1 der Wiener Vertragsrechts-Konvention ist eher das Gegenteil der Fall. Die Konvention sieht als Regel die Beendigung früherer Staatsverträge und nicht deren blosse Suspendierung vor.

Anstelle der verlangten Antwort liess uns Herr Best die Botschaft des Bundesrates vom 23. Juni 1999 zu den bilateralen Verträgen sowie die Broschüre Sektorielle Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft vom 21. Juni 1999, zukommen. Der Inhalt der beiden Broschüren war schon Bestandteil des Bundesblattes Nr. 34 vom 31. August 1999 auf den Seiten 61286488 und 64897110, die wir vor unserer Anfrage studiert hatten. Die Antwort zu der unter Ziffer 2 gestellten Frage über die Vertragsteile, welche das Wiederaufleben der bisherigen Abkommen regeln, ist hier nicht zu finden. Auf die Fragen unter Ziffer 1, 3 und 4 ist Herr Best nicht einmal eingetreten.

Wir betrachten es als Irreführung des Souveräns, wenn Herr Best der glasklaren Frage ausweicht und lapidar erklärt, die Prinzipien dieses Übereinkommens brauchen in völkerrechtlichen Verträgen nicht mehr speziell festgehalten [zu] werden. Wir haben nicht nach den Prinzipien der Wiener Vertragsrechts-Konvention gefragt, sondern den Nachweis für die Richtigkeit seiner Behauptung verlangt, d.h. eine Kopie der entsprechenden Vertragstexte. Auch sein Hinweis auf die Sammlung des Bundesrechts ist keine Antwort auf unsere Frage.

Wir bitten Sie, sehr geehrter Herr Botschafter, sich persönlich dafür einzusetzen, dass alle unsere Fragen genau beantwortet werden, unter Beilage der jeweiligen Vertragskopien. Der Souverän hat das unabdingbare Recht, präzis informiert zu werden, damit er seine verfassungsmässigen staatsbürgerlichen Rechte wahrnehmen kann.

Für eine möglichst schnelle Erledigung unserer Anfrage danken wir Ihnen zum voraus.

Mit freundlichen Güssen

Presseclub Schweiz

gez. E. Indlekofer

Am 15. Dezember traf die Antwort von Botschafter Bruno Spinner ein. Botschafter Spinner hat unsere Fragen freundlich und gewissenhaft beantwortet. Er erklärte ausführlich, warum die bestehenden bilateralen Abkommen bei einem allfälligen Dahinfallen wieder aufleben würden. Seine Erklärungen überzeugen uns aber nicht, denn je nach Standpunkt können die juristischen Sachverhalte verschieden ausgelegt werden. Juristen sind sich in derselben Sache oft uneinig, wie uns die Alltagspraxis vor Augen führt. Dieselbe Erklärung steht auch in der Botschaft auf Seite 191, wo in Abs. 273.221 behauptet wird im Falle eines Ausserkrafttretens des Abkommens würden [die alten Abkommen] wieder aufleben. Das ist Bundesrats-Bla-Bla um schönes Wetter zu machen und steht so nicht in den Verträgen. Die Vertragstexte, z.B. Artikel 20 Freizügigkeit, regelt diese Frage unklar. Dort ist mit keinem Wort die Rede davon, dass die alten Verträge wieder aufleben. Da an mehreren Stellen der Verträge von der späteren Kündigungsoption die Rede ist, muss das Fehlen dieser so wichtigen, eindeutigen Regelung für diesen Fall sehr verwundern. Bei einer Kündigung wären unzählige Streitereien mit der EG zu erwarten. Im Streitfalle würde die EG sicher zu ihren eigenen Gunsten entscheiden. Die Schweiz könnte nach einer Kündigung eines sektoriellen Abkommens ihre heutige Stärke nicht mehr ausspielen.

Mit den über 100 bestehenden bilateralen Verträgen hat die Schweiz sichere Arbeitsplätze und Wohlstand geschaffen. Sie zählt auch nach dem EWR-Nein zu den weltweit führenden Ländern. In vielen Bereichen führt sie vordere Ränge an.

In den Anhängen bzw. Schlussakten zu einigen Verträgen (z.B. Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, Güter- und Personenverkehr auf Schiene und Strasse, Freizügigkeit) gibt es eine Gemeinsame Erklärung über künftige zusätzliche Verhandlungen. Darin wird die Aktualisierung (=Erneuerung) des Freihandelsvertrages beschlossen. Diese Verhandlungen sollen bald nach Abschluss der derzeitigen bilateralen Verhandlungen vorbereitet werden, heisst es dort. Wir fragen uns: was passiert mit den Freihandelsverträgen tatsächlich? Dass sie unverändert in Kraft bleiben, wie Herr Best mehrere Male behauptet hat, kann jedenfalls nicht richtig sein.

In einigen Vertrgen steht der folgende Passus: Die Vertreter, Sachverstndigen und sonstigen Bevollmchtigten der Vertragsparteien sind auch nach Beendigung ihrer Amtsttigkeit verpflichtet, im Rahmen dieses Abkommens erlangte Informationen, die unter das Berufsgeheimnis fallen, nicht preiszugeben.

Wenn mit der unbequemen Behauptung über die Freihandelsverträge eine breite Diskussion unter den Stimmbürgern ausgelöst hat, die jetzt noch an Umfang zunehmen dürfte, haben wir unser Ziel erreicht. Unsere Demokratie hat nur dann eine Zukunft, wenn unsere Bürgerinnen und Bürger an wichtigen Entscheidungen teilhaben können nicht nur dann, wenn es um Abfallsackgebühren geht.