Nahostkonflikt

Milch und Honig werden fliessen

Kundige Beobachter haben nach Camp David Ende Juli 2000 geschrieben, man sei einem Friedensschluss so nah wie nie zuvor gewesen. Warum haben wir nun eine Situation, die weltweites Aufsehen erregt? Hier muss jede Antwort, die auf die Gegenwart fixiert bleibt und die Missachtung der Rechte des palästinensischen Volkes durch Israel ausblendet, als einseitig und unehrlich taxiert werden. Nur der Rückblick an den Anfang des jetzt zu Ende gehenden Jahrhunderts und auf das, was seither geschehen ist, kann einer Antwort gerecht werden. Der palästinensische Leidensweg begann 1917 mit der Balfour-Erklärung, in welcher der britische Aussenminister Lord Arthur J. Balfour dem Zionistenführer Lord Rothschild eine Heimstätte für die Juden in Palästina angeboten hatte. Die damaligen Einwohner Palästinas wurden jedoch nicht um ihre Meinung gefragt. Kurz darauf begannen Juden, gegen arabischen Widerstand, in steigender Zahl das Land zu besiedeln. 1895 lebten noch 453000 Araber und nur 24000 Juden auf den 26320 qkm Palästinas. Im Jahr 1937 hatte Palästina knapp 1,3 Millionen Einwohner, davon 2/3 mohammedanische Araber, obwohl durch starke Einwanderung aus allen Ländern, besonders aus Polen1, die Zahl der Juden auf 4040002 stark zugenommen hatte. Daneben gab es noch etwa 110000 Christen verschiedener Volkszugehörigkeit. Die jüdische Propaganda jener Zeit mit Zangwills Slogan Land ohne Volk für ein Volk ohne Land erweist sich daher als Fiktion. Am 29.11.1947 hat sich die UNO-Vollversammlung für die Teilung Palästinas zur Gründung eines jüdischen und eines arabischen Staates ausgesprochen. Es konnte sich aber nur um eine Empfehlung handeln, denn die UNO hat keine Befugnis, Staaten zu gründen. Die Zionisten sahen darin jedoch eine Rechtfertigung zur gewaltsamen Besetzung Palästinas und Gründung Israels. Die nicht-jüdische Bevölkerung lehnte den völkerrechtlich nicht legitimierten Teilungsplan ab und forderte Selbstbestimmung für Palästina und gleiches Recht für alle. Das Verweigern dieser Forderungen führte zu vier jüdisch-arabischen Kriegen: 1948/49, 1956, 1967 und 1973. Israel hat seither über 95 UN-Beschlüsse grob missachtet und mit Füssen getreten, ohne je Sanktionen gewärtigen zu müssen wie z.B. Serbien. Während Europäer pausenlos an den Holocaust vor 55 Jahren erinnert werden, hat sich in Palästina eine Tragödie grössten Ausmasses ereignet, die den Menschen den Verlust ihrer Heimat, die Vernichtung ihrer Kultur und Tradition gebracht hat. 383 einst von palästinensischem Leben pulsierende Siedlungen und Dörfer wurden seit 1948 zerstört3 (und einige davon mit hebraisierten Namen als jüdische Siedlung neu aufgebaut). Hunderttausende Palästinenser schmachten in erbärmlichen Lagern, von den Rechtsstaaten der ganzen Welt im Stich gelassen. Viele sind sich darin einig, dass die derzeitigen kriegerischen Auseinandersetzungen von Ariel Sharon ausgelöst wurden. In der ARD-Sendung Presseclub vom 15.10.2000 gaben Gesprächsteilnehmer zur Nahostkrise ihre Meinung zum Ausdruck, die wir nachfolgend auszugsweise zitieren: Friedrich Schreiber4: Sharon ist wie ein Elefant im Porzellanladen auf dem Tempelberg rumgetrampelt. Das hat die Gemüter aufgestachelt, er ist ja nicht zum Beten hingegangen, sondern um zu dokumentieren, dass Israel die Souveränität hat. Man geht nicht mit Hunderten von Polizisten da rauf, das muss jetzt rückgängig gemacht werden wenn man zum Frieden zurück will. Um so schlimmer ist, was da geschehen ist, natürlich auch, dass Arafat seine Tansim, seine Fatah-Jugend, losgelassen hat, die er jetzt offensichtlich nicht mehr zurückpfeifen kann. Adel S. Elias5: Das ist eine Akkumulation vieler Ereignisse seit genau sieben Jahren, seit den Oslo-Abkommen. Sie haben nicht das Gewünschte gebracht. Man hat Präsident Yassir Arafat versprochen, den Gazastreifen und die Autonomiegebiete im Westjordanland würden ein zweites Hongkong. Milch und Honig werden fliessen, die Leute würden reich, es gäbe keine Arbeitslosigkeit mehr. In Wirklichkeit sind die Menschen ärmer geworden und sie sind auch hoffnungsloser. Diese Akkumulation vieler Enttäuschungen und Frustrationen ist nun explodiert bei diesem Kriegsverbrecherbesuch von Sharon auf Al-Haram el-Sharif (Al-Aksa-Moschee). So lange die Palästinenser ihr Selbstbestimmungsrecht nicht ausüben können, ihren eigenen freien Staat nicht bekommen, werden immer die alten Wunden wieder aufbrechen, die noch nicht einmal vernarbt sind. Die Ereignisse der letzten zwei Wochen haben Araber und Israeli mindestens eine Generation zurückgeworfen mit dem Friedensprozess. Die Kinder, die erschossen wurden, nicht nur eines, sondern mehrere, tragen dazu bei, dass die Wunden nicht so schnell geheilt werden. Wenn ich den Mob sehe und das zerstörte Grab des Propheten Joseph, dann sind meine Hoffnungen, die ganz klein waren, jetzt tot, weil der Hass auf beiden Seiten da ist. Die Israeli müssen endlich mal begreifen, dass sie ein Unrecht getan haben. Frieden kann man nicht diktieren in Washington, in Oslo, in Tel Aviv oder in Sharm el-Sheik. Schreiber: Wenn es in der UNO-Resolution 242 von 1967 heisst: Israel soll in sicheren Grenzen leben und Rückzug aus den besetzten Gebieten, dann muss ich sagen, der Tempelberg hat nichts mit israelischer Sicherheit zu tun. Elias: 60% der Palästinenser im Gazastreifen sind arbeitslos und sie kriegen noch nicht einmal einen Liter Wasser zum trinken wegen den nur 200 Kolonialisten im Gazastreifen, nicht Siedler Kolonialisten , die mehr als 60% des Wassers für sich haben. Eine Million Palästinenser bekommen die restlichen 40% des salzigen Wassers, das nicht einmal trinkbar ist Warum betrachtet man die Araber eigentlich immer als verdammte Terroristen und nicht als Bürger, die ebenso Rechte haben, in einem Staat zu leben, genau wie ein Jude? Ich verstehe nicht, dass alle Araber potentielle Terroristen sein sollen. Diese sind nur Terroristen gegen die Besatzung der Israeli. Und wenn israelische Soldaten angegriffen werden, werden sie nicht in Israel angegriffen, sondern auf besetztem Territorium. Wer fragt eigentlich nach den Interessen der Palästinenser? Haben diese keine Interessen? Mohammed Nazzal6: Den israelischen Palästinensern wird seit der Entstehung des Staates Israel der Boden mit Zustimmung der israelischen Regierung buchstäblich unter den Füssen weggezogen und damit ihrer Existenzgrundlage beraubt. Ihre Gemeinden sind in keiner Weise mit den israelischen Gemeinden gleichgestellt. Und trotzdem sind das Bürger des Staates Israel; sie haben das Recht zu wählen aber man nimmt ihnen die Luft zum atmen. Trotzdem haben diese Million israelische Palästinenser die Brücke gebaut zu den Oslo-Verhandlungen. Diese kann man in keiner Weise mit den Siedlern vergleichen. Die Siedler im Gaza-Streifen sind eine kleine Minderheit, ausgestattet mit allen Privilegien die man sich denken kann. Die Minderheit in Hebron, das sind 30 Familien, dazu kommen tagsüber 180 Thora-Schüler die abends irgendwo in Kiriat Arba übernachten. Aber das Schicksal von 120000 Palästinensern in Hebron hängt vom Unwillen zum Frieden dieser Leute und ihrer Aggressivität ab. Nicht Israel ist belagert. Keine palästinensische Armee steht vor den Toren von Tel Aviv. Das Gegenteil stimmt: Die israelische Armee belagert die palästinensischen Gemeinden und Städte und die Palästinenser haben keine Möglichkeit, sich frei zu bewegen, trotz Friedensprozess, der sieben Jahre andauert. Die Palästinenser haben gedacht, Israel und die Welt haben ihre Bereitschaft bekundet, diesen Friedensprozess zu begleiten doch es werden immer mehr Siedlungen errichtet. Die Politik Baraks unterscheidet sich nicht von der Sharons. Die Toten sind auf palästinensischen Strassen, niedergeschossen von der israelischen Besatzungsarmee. Israel propagiert den Willen für Frieden. Wie soll dieser Frieden zustandekommen, wenn sie stndig auf Palstinenser wie auf Hasen schiessen?


Fussnoten

1 Der Neue Brockhaus, 1937, Leipzig.

2 Philo-Lexikon, Handbuch des jüdischen Wissens, 1937, Berlin-Amsterdam.

3 Zerstörte palästinensische Ortschaften, 1989, Ass. pour reconstruire Emmaüs, 1025 St-Sulpice.

4 Friedrich Schreiber, ehem. Israelkorrespondent.

5 Adel S. Elias, Redaktion des Spiegel Libanon.

6 Mohamed Nazzal, Pressesprecher in Deutschland, palästinensischer Generaldelegierter.