Bis der Postmann nicht mehr klingelt*
In allen EU-Lndern ist die Privatisierung ffentlicher Unternehmen im Verkehrs- und Energiesektor in vollem Gange. Was damit auf Angestellte und Kunden zukommt, lsst sich am Beispiel der franzsischen Post ablesen.
Am 15. Oktober 2001 einigten sich die fnfzehn EU-Staaten darauf, die ffnung der Postdienstleistungen fr den freien Wettbewerb weiterzutreiben. Um den Widerstnden gegen die forcierte Liberalisierung von vornherein den Wind aus den Segeln zu nehmen, beschlossen sie gleichzeitig, das Postmonopol schrittweise abzubauen. Vollstndig bis im Jahr 2009. [CH: Ulrich Gygi spricht von 2008, d. Red.]
Seit Beginn der Neunzigerjahre haben rechte wie linke Regierungen ohne viel Federlesens das Post- und Telekommunikationswesen dereguliert. Unablssig verndert die Fhrung der franzsischen Post ihr Dienstleistungsangebot, um das ffentliche Unternehmen mit Blick auf das Schicksalsjahr 2009 fr den zunehmend wettbewerbsintensiven Markt fit zu machen. Freilich ist ein solches Unterfangen ohne die Bekehrung der rund 300000 Postbediensteten zur Marktideologie nicht mglich. Unter der Belegschaft gibt es seit langem eine kmpferische Gewerkschaftstradition und das ausgeprgte Bewusstsein, dass man einen ffentlichen Dienst vernichtet. Schliesslich konnten sie am Beispiel ihrer Kollegen von France Tlcom studieren, welche Bedrohung die schleichende Privatisierung darstellt. Die Postdirektion scheut keine Mhe, die Bediensteten ideologisch umzudrehen. Die intensive Indoktrinierung geht przis aus den monatlichen Zeitschriften fr die Belegschaft hervor. Das Wort clients (Kunden) existiert erst seit den Neunzigerjahren. Davor war allgemein von usagers (Nutzern) die Rede, heute ist der Gebrauch dieses Wortes bis ins kleinste Postamt untersagt. Stze, die an die Zufriedenheit des Kunden appellieren, stehen im Mittelpunkt der Strategie. Deren ideologische Ausrichtung zeigt sich an der stndigen Verwendung kindischer Abkrzungen: z.B. APPC fr agir pour chaque client (kundenorientiert handeln) oder BCCC fr bien chouchouter chaque client (jeden Kunden verhtscheln). Postzeitung: Doch aufgepasst: Es kommt zwar darauf an, zu wissen, wie man Kunden gewinnt und behlt, aber nicht jeder Kunde ist erwnscht, schon gar nicht als treuer Kunde. Eine Steigerung des Verkaufs ist mglich, wenn die Schalterangestellten sich abgewhnen, den Kunden eine bertriebene Hilfestellung zu geben. Dazu zhlt etwa die Hilfe fr ltere Menschen, denen man frher eine Briefmarke auf den Umschlag klebte oder beim Ausfllen von Formularen half. Der Plan fr 2002 sieht fr Schalterangestellte eine vierstufige Verkaufsstrategie vor: Vorspiel (Ansprechbarkeit zeigen), Vorkontakt (Wnsche des Kunden erahnen, ihn ansprechen), Kontakt (Vorschlge unterbreiten), Nachkontakt (Zusatzverkufe, Kassieren). Umsatzsteigerung lautet die Zwangsvorstellung in den Chefetagen, sie soll mit strategischen Produkten in den Vordergrund gestellt werden: Plus-Brief, Plus-Pckchen, Versand-Tracking und das Postbankkonto Client Pro Privilge. Die neuen Produkte sollen nach und nach die klassischen Briefmarken, Umschlge und gelben Pakete ersetzen (die aus den Auslagen der Postmter bereits verschwunden sind). Verkaufen wird zum Reflex: Die Kunden fragen nach einer Briefmarke, wir schlagen ihnen einen Plusbrief vor. Sie wollen ein Paket verschicken, wir empfehlen bedarfsgerecht Distingo, ColiPoste, Chronopost. Diese Lsungen werden vor allem der Post gerecht, whrend der Kunde gesteigerte Kosten zu tragen hat: Die vorfrankierten Produkte sind teurer als der separate Kauf von Umschlag und Briefmarke.
Die erfolgreichsten Schalterverkufer werden belohnt. Es werden betriebsinterne Wettbewerbe veranstaltet, die darauf angelegt sind die Truppe zu motivieren und zu infantilisieren. Die Mitwirkenden werden nach Punkten klassifiziert. Tagein, tagaus mit den Umsatzvorgaben der Direktion konfrontiert und durch kindische Spielereien bei der Stange gehalten, bleiben die Beschftigten in stndiger Anspannung. Mglicher Widerstand wird dadurch im Keim erstickt. Smtliche Beschftigten sind gehalten, an Fortbildungslehrgngen teilzunehmen. Stndige Leistungskontrollen sorgen dafr, dass die Angestellten unter permanenter Spannung stehen. Jeden Monat beobachtet der Teamchef jeden Schalterangestellten zwanzig Minuten lang bei der Arbeit, um seine Fhigkeiten und Verkaufstalent zu evaluieren. Die berwachung der Angestellten wre jedoch nicht vollstndig, gbe es nicht auch berraschungsbesuche von Postangestellten, die als Kunde getarnt die Fhigkeiten der Schalterangestellten prfen.
Fussnote
* Aus dem gleichnamigen Beitrag in Le Monde diplomatique Nr.10/2002, Vertrieb: WoZ, Zrich; stark gekrzt.