Geht an alle |
Aufruf an das neu gewhlte Parlament
Kndigt die Vertrge mit WTO, IWF und Weltbank!
Zieht das EU-Beitrittsgesuch zurck!
Diese Organisationen sind Werkzeuge der US-Hochfinanz. Sie zerstren unsere Zivilgesellschaften und strzen uns in die Armut einer globalisierten Diktatur.
Global Brutal*
von: Michel Chossudovsky
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Nur wenige Wochen nach dem blutigen Militrputsch in Chile am 11. September 1973, bei dem die gewhlte Regierung von Prsident Salvador Allende gestrzt wurde, ordnete die Militrjunta unter General Augusto Pinochet die Anhebung des Brotpreises von elf auf 40 Escudos an. Diese enorme Steigerung von 364 Prozent von einem auf den anderen Tag war Teil einer wirtschaftlichen Schocktherapie, das Werk einer Gruppe von konomen, die man die Chicago Boys nannte.
Zur Zeit des Militrcoups lehrte ich am Wirtschaftsinstitut der Katholischen Universitt von Chile. Dort wimmelte es von konomen, die in Chicago ausgebildet worden waren und der neoliberalen Lehre des Chicagoer Wirtschaftsprofessors Milton Friedman folgten. Am 11. September, nach der Bombardierung des Prsidentenpalastes La Moneda, verhngten die neuen Militrherrscher eine 72stndige Ausgangssperre. Als die Universitt nach einigen Tagen wieder ffnete, jubilierten die Chicago Boys. Nur wenige Wochen spter wurden mehrere meiner Kollegen von der Wirtschaftsfakultt in Schlsselpositionen der Militrregierung berufen.
Whrend die Lebensmittelpreise in den Himmel schossen, wurden die Lhne eingefroren, um wirtschaftliche Stabilitt zu sichern und den Inflationsdruck abzuwehren. ber Nacht wurde das gesamte Land in elendigste Armut gestrzt. In weniger als einem Jahr stieg der Brotpreis in Chile um das 36fache. 85 Prozent der chilenischen Bevlkerung wurden unter die Armutsschwelle getrieben.
Diese Ereignisse haben meine Arbeit als konom tief geprgt. Ich erlebte mit eigenen Augen, wie durch die Manipulation der Preise, der Lhne und Zinsstze das Leben von Menschen zerstrt wurde. Eine ganze Volkswirtschaft wurde destabilisiert. Ich begann zu verstehen, dass die makrokonomische Reform weder neutral war wie die Hauptstrmung der Volkswirtschaftslehre behauptet noch von den breiteren Prozessen sozialer und politischer Transformation getrennt werden konnte. So konzentrierte ich mich in meinen frhen Arbeiten auf die Funktion, die der so genannte freie Markt als gut organisiertes Instrumentarium wirtschaftlicher Repression in der Wirtschaftspolitik der chilenischen Militrjunta erfllte.
Zwei Jahre spter kehrte ich als Gastprofessor der Universidad Nacional de Crdoba im industriellen Kernland Argentiniens nach Lateinamerika zurck. Mein Aufenthalt fiel mit dem militrischen Staatsstreich von 1976 zusammen. Zehntausende von Menschen wurden verhaftet, verschleppt und ermordet. Die militrische Machtbernahme in Argentinien war eine exakte Kopie des von der CIA gelenkten Putsches in Chile. Auch hier folgten den Massakern und Menschenrechtsverletzungen marktliberale Reformen, dieses Mal unter Aufsicht der Glubiger Argentiniens in New York.
Die tdlichen Wirtschaftsrezepte des Internationalen Whrungsfonds (IWF) im Rahmen der Strukturanpassungsprogramme waren damals noch nicht zur offiziellen Politik geworden. Aber die wirtschaftlichen Massnahmen in Chile und Argentinien im Stil der Chicago Boys waren eine Generalprobe fr Dinge, die noch kommen sollten. Bald trafen die Verdikte des freien Marktsystems ein Land nach dem anderen. Seit dem Ausbruch der Schuldenkrise in den 80er Jahren wendete der IWF die gleichen wirtschaftlichen Gesundungsrezepte in mehr als 150 Entwicklungslndern an. Ausgehend von meinen frheren Arbeiten in Chile, Argentinien und Peru begann ich, die globalen Auswirkungen dieser Reformen zu untersuchen, und kam zu der berzeugung, dass eine Neue Weltordnung Gestalt gewann, die sich unerbittlich von Armut und wirtschaftlichen Verwerfungen nhrte.
In der Zwischenzeit wurden die meisten Militrregimes Lateinamerikas durch parlamentarische Demokratien ersetzt, betraut mit der schrecklichen Aufgabe, die Volkswirtschaften ihrer Lnder im Rahmen der von der Weltbank betriebenen Privatisierungsprogramme unter den Hammer zu bringen.
1990 kehrte ich an die Katholische Universitt von Peru zurck, wo ich nach dem Militrputsch von 1973 in Chile gelehrt hatte. Ich kam in Lima an, als gerade der Wahlkampf um die Prsidentschaft voll entbrannt war. Die Wirtschaft des Landes steckte in der Krise. Die scheidende populistische Regierung von Prsident Alan Garca war vom IWF auf die schwarze Liste gesetzt worden, hatte also keine Kredite mehr bekommen. Neuer Prsident von Peru wurde am 28. Juli 1990 Alberto Fujimori. Und nur wenige Tage darauf schlug die wirtschaftliche Schocktherapie mit voller Wucht zu. Peru wurde abgestraft, weil es sich nicht den Diktaten des IWF gebeugt hatte: Der Preis von Benzin stieg um das 31fache, der Brotpreis um mehr als das Zwlffache an einem einzigen Tag. Der IWF in enger Beratung mit dem US-Finanzministerium zog hinter den Kulissen die Fden. Diese Reformen durchgefhrt im Namen der Demokratie waren noch weit vernichtender als jene, die in Chile und Argentinien unter der Faust der Militrherrschaft zustande gekommen waren.
In den 80er und 90er Jahren bereiste ich ausgiebig Afrika. Die Feldforschung fr die erste Ausgabe dieses Buches begann in Ruanda, das sich damals trotz des hohen Armutsniveaus noch selbst mit Nahrungsmitteln versorgen konnte. Aber seit Anfang der 90er Jahre wurde die funktionierende Volkswirtschaft Ruandas zerstrt, seine einst blhende Landwirtschaft destabilisiert. Der IWF hatte die ffnung des heimischen Marktes fr billige US-amerikanische und europische Getreideberschsse verlangt, angeblich mit dem Ziel, die ruandischen Bauern zu grsserer Wettbewerbsfhigkeit zu ermutigen.
Von 1992 bis 1995 unternahm ich weitere Feldforschungen in Indien, Bangladesch und Vietnam und kehrte nach Lateinamerika zurck, um meine Untersuchung ber Brasilien abzuschliessen. In allen Lndern, die ich besuchte, einschliesslich Kenias, Nigerias, gyptens, Marokkos und der Philippinen, beobachtete ich das gleiche Muster wirtschaftlicher Manipulation und politischer Einmischung durch die internationalen Finanzorganisationen in Washington. In Indien wurden als direkte Folge der IWF-Reformen Millionen von Menschen in den Hunger getrieben. In Vietnam, einer der prosperierendsten Reiswirtschaften, brachen lokale Hungersnte aus, die eine direkte Konsequenz der Aufhebung der Preiskontrollen und Deregulierung des Getreidemarktes waren.
Nach dem Kalten Krieg, auf der Hhe der Wirtschaftskrise, reiste ich in mehrere Stdte und lndliche Gebiete Russlands. Die vom IWF gefrderten Reformen waren in eine neue Phase getreten und machten nun auch den Lndern des ehemaligen Ostblocks schwer zu schaffen. Ab dem Jahr 1992 sind weite Teile der ehemaligen Sowjetunion vom Baltikum bis Ostsibirien in bitterste Armut gestrzt worden.
Die Arbeiten an der ersten Auflage dieses Buches waren Anfang 1996 beendet, mit Ausnahme einer detaillierten Studie ber den wirtschaftlichen Zerfall Jugoslawiens. Dort wurde von den Weltbankkonomen ein Bankrottprogramm auf den Weg gebracht, dem 1989/90 etwa 1100 Industrieunternehmen zum Opfer fielen. ber 614000 Arbeitnehmer verloren ihren Job. Aber das war erst der Anfang einer viel durchgreifenderen wirtschaftlichen Zerstckelung des jugoslawischen Bundesstaates.
Seit der Verffentlichung der ersten Auflage [1997] hat sich die Welt dramatisch verndert. Die Globalisierung der Armut hat mittlerweile alle grossen Regionen der Erde einschliesslich Westeuropas und Nordamerikas erfasst. Eine Neue Weltordnung wurde errichtet, die die nationale Souvernitt und die Rechte der Brger untergrbt. Die neuen Regeln der 1994 gegrndeten Welthandelsorganisation (WTO) sichern den weltgrssten Banken und multinationalen Konzernen verbriefte Rechte zu. Die ffentlichen Schulden sind explodiert und die staatlichen Institutionen zusammengebrochen, whrend die Anhufung privaten Reichtums unerbittlich voranschreitet. (Hervorhebungen in Fettschrift durch d. Red.)
Fussnote
* Im Verlag: Zweitausendeins, Frankfurt a.M., 2002