Leserbriefe
Zum Tag der Ernhrung
sprach Bundesprsident Deiss im Radio und ermahnte die Zuhrer einmal mehr zu Solidaritt. Laut dem UNO-Beauftragten Jean Ziegler mssen gegenwrtig rund 842 Millionen Menschen hungern. Bis Mitte des laufenden Jahrzehnts drohe eine weitere drastische Zunahme (Oltner Tagblatt 10.10.04). ber die Hintergrnde wird in unseren informationsbeflissenen Medien standhaft geschwiegen. Und ebenso schweigen die Politiker. Television SWR brachte am 13. Oktober den Beitrag Die Ursachen des Elends am Beispiel Indien. Man musste sich angesichts dieser Sendung fragen: Wird die moderne Welt ein Tollhaus oder ist sie es schon? Im Zuge einer gewissen Modernisierung des beinahe eine Milliarde Menschen zhlenden Landes hat die Regierung von der Weltbank einen grossen Kredit erhalten, aber keineswegs nur mit der Bedingung, diesen nach und nach zurckzuzahlen, sondern mit einer ganzen Reihe von Auflagen, die in ihrer Art dermassen einschneidend und unverhltnismssig sind, dass das ganze Land aus den in Jahrhunderten gewachsenen umweltvertrglichen Verhltnissen gerissen wurde. Die sogenannten Reformen galten einmal der Landwirtschaft und ihrer kleinbuerlichen Struktur, die zerschlagen werden sollte, um einer voll exportorientierten Makrokonomie Platz zu machen. ltere Menschen erinnern sich der gewaltsamen Kollektivierung russischer Bauern whrend der kommunistischen Herrschaft und die zahllosen Menschenopfer dieser Massnahme. Nicht viel besser muss es auf Geheiss und unter strenger Kontrolle der Weltbank Indien nachahmen, wodurch die vielen Kleinbauern ihr Land und damit ihre Ernhrungsgrundlage durch Enteignung verloren haben. Am Beispiel des Staates Uttar Pradesch wurde gezeigt, was mit dem Reisanbau zu machen war: Grosse Teiche zur Anzucht von Garnelen fr den Export nach Europa, damit Geld verdient werden kann. Allerdings nur von einer kleine Anzahl von hiefr bentigten Arbeitskrften. Zahlreihe Kleinbauern nahmen sich das Leben. Zehntausende strmten in die wegen ihrer Grsse kaum noch zu kontrollierenden Stdte, um dort neue Slums zu bilden. Die Auflagen gingen und gehen aber noch viel weiter. Freie Einfuhr, Privatisierung von ffentlichen Betrieben, totale Liberalisierung, Abbau des Service public aller Chargen, Sparmassnahmen ohne Ende. So arbeiten Weltbank, WTO, IWF berall, und Armut und Elend nehmen zu und wir spenden pausenlos, unaufhrlich weiter. Der hochangesehene US-Prsident (18601865) Abraham Lincoln hat vor den Folgen des unbegrenzten Freihandels eindringlich gewarnt, als er sagte:
Schafft die Zlle ab und untersttzt den Freihandel, dann werden unsere Arbeiter wie in Europa in jedem Bereich der Wirtschaft auf das Niveau von Leibeigenen und Paupern* heruntergebracht.
Genau nach diesem Rezept verfhrt der Neoliberalismus heute weltweit mit der sogenannten Globalisierung, unter welcher auch bei uns eine Politik betrieben wird, mit welcher die direkte Demokratie dem Untergang geweiht ist. Andere Regierungssysteme, die sich missbruchlich Demokratie nennen, usurpieren diesen Namen, den sie nicht verdienen. Die Folgen dieser flschlicherweise Wohlstand fr alle versprechenden Politik stellen sich jetzt ziemlich genau so ein, wie es Lincoln vorausgesagt hat: Steigende Arbeitslosigkeit und damit einhergehende Armut. Statt sichere Arbeitspltze und Verdienst, Tiefstlhne auf Zeit. Ungehinderte Mobilitt und damit Zerstrung der Gesellschaft und Kultur. Der demokratische Entscheidungsprozess ist schon weitgehend durch die von der Hochfinanz in den USA straff gefhrten transnationalen Organisationen: Weltbank, IWF (Internationaler Whrungsfonds), WTO (Welthandelsorganisation) und andere mehr, zunichte gemacht. Diese sind den monetaristischen Zielen des Kapitals verpflichtet und unterlaufen in den wichtigsten Fragen (auch bei uns) die demokratischen Entscheidungsprozesse. Obwohl in keiner Weise dazu legitimiert, diktieren sie zunehmend die Innenpolitik der einzelnen Staaten, unter Sanktionsdrohungen bei Zuwiderhandlung ihrer Weisungen. Neben diesen Organisationen wirkt in derselben Weise die EU durch Zollabbau (freier Warenverkehr), Harmonisierung und Privatisierung, wozu sie eine masslos aufgeblhte Brokratie betreibt.
Dr. Max Disteli, Olten
* Von Pauperismus; dauernde Massenarmut.