Eine rassistische Nation
Von Gideon Levy
(Haaretz) Auch wenn es nicht so aussieht: die Wahlen in dieser Woche [26.3.06] sind wichtig, weil sie das wahre Gesicht der israelischen Gesellschaft offenbaren und ihre verborgenen Ziele: mehr als 100 gewhlte Kandidaten werden zur Knesset geschickt: auf Grund einer Karte der Rassismuskarte. Auch wenn wir gewhnlich denken, dass zwei Israelis drei Meinungen haben, hier wird deutlich, dass fast jeder Israeli nur eine Meinung hat Rassismus. Die Wahlen von 2006 werden dies deutlicher als je zuvor machen. Eine absolute Mehrheit der Mitglieder in der 17. Knesset wird eine Position einnehmen, die auf einer Lge beruht: Israel hat keinen Partner fr den Frieden. Eine absolute Mehrheit der Knessetmitglieder der nchsten Knesset glaubt nicht an Frieden, ja wnscht ihn nicht einmal genau wie ihre Whler. Schlimmer noch: sie sehen die Palstinenser nicht als gleichwertige Menschen an. Rassismus hatte nie so viele freimtige Untersttzer. Dies ist der wirkliche Hit dieser Wahlkampagne.
Man muss nicht Avigdor Lieberman sein, um Rassist zu sein. Der von Ehud Olmert vorgeschlagene Frieden ist nicht weniger rassistisch. Lieberman mchte sie weit weg von unseren Grenzen haben und Olmert & Co mchte sie aus unserem Bewusstsein entfernen. Keiner spricht mit ihnen ber Frieden, keiner wnscht ihn wirklich. Nur ein Wunsch vereinigt sie: sie los zu werden auf diese oder eine andere Weise. Vertreibung oder Mauer, Trennung oder Sammlung Hauptsache: sie verschwinden aus unserem Blickfeld. Das einzige Spiel in der Stadt, die einseitige Vereinbarung, basiert nicht nur auf einer Lge, es gbe keinen Partner, es basiert auch nicht ausschliesslich auf unserem Eigenbedarf wegen eines berlegenheitsgefhls, sondern fhrt zu einem gefhrlichen Verhalten, das die Existenz des anderen Volkes total ignoriert. Das Problem ist, dass dieses Gefhl sich ganz auf einer illusorischen Voraussetzung grndet. Die Palstinenser sind hier genau wie wir. Sie werden deshalb gezwungen sein, uns weiter an ihre Existenz zu erinnern, in einer Weise, wie wir und sie es kennen, durch Gewalt und Terror.
Dieses dstere Kapitel der Geschichte Israels begann in Camp David, als es Ehud Barak gelang, die Unwahrheit zu verbreiten, es gbe auf palstinensischer Seite niemanden, mit dem man reden kann, dem man zwar den Himmel, die grssten je vorgeschlagenen Konzessionen versprochen, der aber mit Gewalt reagiert habe. Dann kamen die grsseren Terroranschlge, und die israelische Gesellschaft zog sich in eine nie vorher gekannte krankhafte Apathie zurck. Whrend sie gewhnlich vllige Gleichgltigkeit gegenber dem palstinensischen Leiden demonstriert, verbreitete sich die Apathie und schloss die schwachen Israelis mit ein, die Araber, die Armen, die Kranken. In dieser Hinsicht scheint die augenblickliche Wahlkampagne langweiliger denn je fast ein Ausdruck des Zustandes ffentlicher Frsorge zu sein. Nichts kann sie aus ihrem Koma wecken: weder die Gefangenschaft des benachbarten Volkes, noch das Tten und die Zerstrung, die wir in seine Gesellschaft hineintragen, noch das Leiden der Schwachen unter uns. Wer htte je geglaubt, dass im Israel des Jahres 2006 das Tten eines 8jhrigen Mdchens aus nchster Nhe, wie es in der vergangenen Woche in Yamoun geschah, kaum erwhnt wird; dass der unbarmherzige Versuch, einen aidskranken thiopier, der mit einer Israelin verheiratet ist, auszuweisen, nur weil er nicht jdisch ist, kein Zetermordio auslst; und dass die Ergebnisse einer Umfrage aufzeigen, dass eine Mehrheit der Israelis, 68%, nicht in der Nachbarschaft eines Arabers leben mchte. Auch das regt keinen auf. 1981 wurden Tomaten gegen Shimon Peres geworfen, 1995 wurde gegen Yitzhak Rabin gehetzt, jetzt gibt es keine Tomaten, keine Hetze und nicht einmal eine Wahlkundgebung.
Nichts bringt die Israelis auf die Strassen, nichts kann sie wtend machen. Eine Wahl ohne Beteiligung und Interesse ist fr die Demokratie gefhrlicher als eine Tomate. Es ist eine Demonstration der Apathie und Gleichgltigkeit, die das Regime ausntzen kann, um zu machen, was immer es will. Die Tatsache, dass es keinen wirklichen Unterschied zwischen den drei grossen Parteien gibt mit nur einem Ausspruch: fast das ganze Land gehrt mir ist eine schlechte Nachricht fr die Demokratie. Die kommenden Wahlen sind also schon entschieden worden. Eine grosse Mehrheit wird ihren Stimmzettel fr das rassistische System geben, das die Palstinenser ignoriert, wie es von Kadima, von Likud und zum grossen Teil auch von Labour vorgeschlagen wird. Keiner von ihnen versucht, einen gerechten Frieden vorzuschlagen; ihre Fhrer schweigen ber Kriegsverbrechen und das Leiden, das durch Israel verursacht wurde. Ihnen werden sich die extremen Rechten und die Ultra-Orthodoxen anschliessen. Und damit haben wir eine Nation, in der Rassismus der wahre gemeinsame Nenner ist, der alle vereint. Fast jeder wird nein zum Frieden sagen und ja zur Fortfhrung der Besatzung (wenn auch unter einem neuen Decknamen) und ja zur totalen Konzentration auf uns selbst.
Moralische Grundstze sind schmutzige Wrter geworden und die schlimmste Korruption in der Geschichte des Landes, die Besatzung, wurde niemals erwhnt. Nur einseitige Landkarten, die sich alle hneln und die die Siedlungsblcke einschliessen, ein Rckzug, entsprechend unseren Bedrfnissen, mit einer Trennungsmauer und der erschreckenden Atmosphre von Gleichgltigkeit, die ber allem liegt.
Fussnoten
Quelle: Haaretz / ZNet Deutschland 26.03.06, http://www.zmag.de/artikel.php?id=1767