Bemerkungen zur Bundesfeier
Von Prof. Dr. jur. Hans Ulrich Walder*
Walter: Ei, Vater, sieh das Zelt dort auf dem Platze.
Tell: Was kmmert uns das Zelt? Komm, lass uns gehen.
Friedrich Schiller, Wilhelm Tell (Version 2006)
Erstes Zitat
Im Innern der Kontrollstelle: Zwei Gitterschleusen enden in Militrzelten. Dort wird mit Gesichts- und Gepckkontrollen nach Rechtsextremen gefahndet. Wer diese hohle Gasse nicht passiert, kommt nicht aufs Rtli (Zitat aus Blick, 31. Juli 2006).
Wir sind vorbereitet. Ich kann Rechten und Linken nur raten, nicht nach Brunnen zu kommen, sagt FDP-Regierungsratsprsident Alois Christen bestimmt (Zitat aus Blick, 31. Juli 2006).
Art. 8 Abs. 1 und 2 der Schweizerischen Bundesverfassung vom 18. April 1999 (Rechtsgleichheit) lauten:
Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich
Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religisen, weltanschaulichen oder politischen berzeugung oder wegen einer krperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.
Art, 16 der Schweizerischen Bundesverfassung vom 18. April 1999 lautet:
Meinungs- und Informationsfreiheit
Die Meinungs- und Informationsfreiheit ist gewhrleistet.
Jede Person hat das Recht, ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu ussern und zu verbreiten.
Jede Person hat das Recht, Informationen frei zu empfangen, aus allgemein zugnglichen Quellen zu beschaffen und zu verbreiten.
Niemand in Art. 8 Abs. 2 BV heisst, dass auch keine Linke und keine Rechte diskriminiert werden drfen. Ja, man darf sogar extreme politische Ansichten haben; ein bezglicher Vorbehalt ist weder in Art. 8 noch in Art. 16 BV vermerkt und wre auch nicht EMRK-konform (s. Art. 10 Abs. 1 und 14 daselbst). Extreme Ansichten haben etwa jene Mitglieder der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats, welche die Mitglieder des Bundesrates fr alle Zeiten und unabhngig vom Thema verpflichten wollen, vor Volksabstimmungen die Haltung der Behrden zu vertreten, selbst wenn sie persnlich eine andere Meinung haben (so Bundesrtin Micheline Calmy-Rey bezglich der neuen Asylgesetzgebung).
Warum darf man dann extremer oder auch nur linker oder rechter Ansichten wegen nicht an einer Bundesfeier auf dem Rtli teilnehmen? Antwort: Bundesfeiern sind fr Angehrige der Koalition der Vernunft reserviert, bei der es keine Rechte und keine Linken mehr zu geben hat. Wer aber hat solches angeordnet und in welcher Form und von wann an wird es nicht allein auf dem Rtli, sondern in der ganzen Schweiz fr Bundesfeiern praktiziert?
Nach Rechtsextremen, die nicht nher definiert sind, wird gefahndet, wie wenn es von vorneherein Kriminelle wren. Das ist Diskriminierung gemss Art. 8 Abs. 2 BV. Wie verhlt es sich brigens mit dem rechtlichen Gehr (Art. 29 Abs. 2 BV) und mit dem Rechtsmittelweg?
Zweites Zitat
Und falls doch, sollten sie sich nicht zu Gruppen zusammenrotten (Zitat aus Blick vom 31. Juli 2006).
Art. 22 der Schweizerischen Bundesverfassung vom 18. April 1999 lautet:
Versammlungsfreiheit
Die Versammlungsfreiheit ist gewhrleistet.
Jede Person hat das Recht, Versammlungen zu organisieren, an Versammlungen teilzunehmen oder Versammlungen fernzubleiben.
Dazu gehrt auch das Recht, sich vorgngig des Besuchs einer grsseren Veranstaltung zu versammeln. Vgl. dazu BGE 132 I 56 f. E. 5.3. Die Verwendung des Begriffs zusammenrotten ist zudem diskriminierend im Sinne von Art. 8 Abs. 2 BV (s. oben).
Drittes Zitat
Wir haben sonst fr sie eine bse berraschung in der Hinterhand, droht Christen (Zitat aus Blick, 31. Juli 2006).
Art. 181 des Schweizerischen Strafgesetzbuches vom 21. Dezember 1937 lautet:
Ntigung
Wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschrnkung seiner Handlungsfhigkeit ntigt, etwas zu tun, zu unterlassen, oder zu dulden, wird mit Gefngnis oder mit Busse bestraft.
Hier wird [durch Christen] die Unterlassung gemeinsamen Begehens eines Ortes zwecks nachheriger Teilnahme an einer Bundesfeier verlangt und ein ernstlicher Nachteil (bse berraschung) fr den Widerhandlungsfall angedroht.
Art. 32 des Schweizerischen Strafgesetzbuches vom 21. Dezember 1937 lautet:
Gesetz, Amts- oder Berufspflicht
Die Tat, die das Gesetz oder eine Amts- oder Berufspflicht gebietet, oder die das Gesetz fr erlaubt oder straflos erklrt, ist kein Verbrechen oder Vergehen.
Es ist nicht ersichtlich, was fr ein Gesetz im Zusammenhang mit einer Bundesfeier Ntigung gegenber einer bestimmten Gruppe von Mitbrgerinnen und Mitbrgern zulasse; entsprechend besteht auch keine Amts- oder Berufspflicht, eine solche auszusprechen.
Nachbemerkung
Gemss Tages-Anzeiger vom 3. August 2006 wurden zu den oben analysierten Vorgngen einige Funktionre und einige Vertreter politischer Parteien befragt. Keinem von ihnen kam es in den Sinn, die verfassungsrechtliche Problematik auch nur anzusprechen, offenbar selbst den Fragestellern nicht. Von uns Gewhnlichen wurde natrlich niemand befragt; wir sind eben nur Staffage, die kontrolliert wird, so wie man Ware kontrolliert, und das auf dem Weg zu einer Bundesfeier.
Sempach, 3. August 2006
Fussnote
* Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. jur. Hans Ulrich Walder, Institut Felsenegg, Prsident der Bewegung fr Unabhngigkeit.