Der gescheiterte Beweis, dass das Zinsgeldsystem funktioniert

Von Professor Dr. Bernd Senf *

(ei.) Schweizer Medienschaffende behandeln das Zinsgeldsystem selten und usserst widerwillig. Doch auf dem Weltnetz sind immer fters Beitrge zu lesen, die das reformbedrftige Geldsystem kritisieren. In diesen wird dringender Diskussionsbedarf der breiten ffentlichkeit angemahnt. Viele sind berzeugt, dass das Thema des Leih- und Zinsgeldes auf der Priorittenliste ganz oben stehen muss, wenn wir unsere Demokratie vor einem drohenden Desaster bewahren wollen. Es gengt nicht, wenn sich Redaktoren der Schweizer Tages- und Wochenzeitungen regelmssig mit Kurt Schiltknechts1 und Walter Wittmanns2 Analysen und Empfehlungen begngen, ohne deren Argumente zu hinterfragen und Kritik anzumelden. Woher diese Zgerlichkeit? Eine Antwort finden wir beim Miterfinder des Bretton Woods-Abkommens von 1933, John Maynard Keynes. Er schtzte, dass nicht einer unter einer Million das Wesen des Geldes verstehe. Also da drckt der Schuh! Die Redaktoren scheinen ihre Hausaufgaben nicht gemacht zu haben. Neulich hat ein Leser eines Weltnetz-Beitrages3 zum Zinsgeldsystem diesen folgendermassen kommentiert: Hier wird bewiesen, dass Prof. Senf falsch liegt mit seinen Theorien:4 Er hat wohl ganz am Anfang seines Schaffens etwas Wichtiges bersehen. Nmlich den Geldkreislauf zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer. Wenn man diesen einfach weglsst, kommt man zu Senfs Zinseszins-Effekt. Nur leider ist das alles falsch. Bernd Senf wurde angefragt, ob er sich diesen Artikel einmal ansehen und analysieren knne. Nachfolgend jene Teile seiner Antwort, die ohne Abbild der ihr zugrundeliegenden Tabelle verstndlich sind. Mit Senfs Antwort ist auch der angebliche Beweis, das Zinsgeldsystem wrde (schadlos) funktionieren, schon wieder vom Tisch:

 

Im Weltnetz erschien am 2. Januar 2010 ein Beitrag mit dem Titel Der Beweis, dass das Zinsgeldsystem funktioniert.5

Er beginnt mit folgendem Abschnitt:

Es gibt eine Vielzahl von Kritikern, die behaupten, dass unser Zinsgeldsystem unweigerlich in einen Zusammenbruch des Marktes mndet. Nach deren Meinung fhrt Geld, welches ber Zinskredite in den Markt eingefhrt wird, unweigerlich zu einem exponentiellen Anstieg der Schulden und damit der Zinslast. Im folgenden wird bewiesen, dass diese Annahme nicht stimmt.

Und endet mit dem Abschnitt:

Fazit: Die Grundannahme des Zinskapitalmarktes der Kritiker ist falsch, weil sie einfach den Geldkreislauf und die Wertschpfung zwischen Kreditnehmer und Kreditgeber weglassen. Durch diesen groben, aber doch recht unaufflligen Fehler, entsteht der Eindruck als ob das ganze Zinsgeldsystem zwangslufig frher oder spter zusammenbrechen muss.

Zu diesen Thesen, zu den Grundannahmen und der scheinbaren Beweisfhrung des anonymen Autors will ich im folgenden kurz Stellung nehmen.

 

Fragwrdige Grundannahmen der Beweisfhrung

Sein Modell, das in Tabellenform vorgestellt wird, basiert auf einigen fragwrdigen und realittsfernen Grundannahmen. Entsprechend lassen sich daraus keine realittsbezogenen Folgerungen ableiten.

Er ignoriert die Wertverminderung der Maschinen im Laufe der Zeit und im Zusammenhang ihrer Nutzung. (Der Wert der Maschinen in der [hier nicht gezeigten] Tabelle wird im Zeitablauf als konstant mit 100 Euro angegeben.) Dadurch erscheint etwas als Wertschpfung, was es zum Teil gar nicht ist. Die vermeintliche Wertschpfung msste um den Betrag der Maschinen-Abschreibungen vermindert werden.

Es wird in der Beweisfhrung unterstellt, dass alle Zinsertrge immer wieder dem Wirtschaftskreislauf zugefhrt und nachfragewirksam werden, auch bei den Grosskapitalisten. Selbst wenn die Zinsertrge wieder angelegt (und nicht konsumiert, sondern re-investiert) werden, wrde immer wieder [erklrt der anonyme Autor] auf dem Markt ein Gegenwert fr das investierte Geld [existieren]. Damit wird wiederum ein Wachstum des Sozialprodukts unterstellt, was mit dem exponentiellen Wachstum der Geldvermgen Schritt hlt was langfristig in einer Welt begrenzter Ressourcen und Absatzmrkten unmglich ist.

Die Rolle der Zentralbanken [wird nicht] hinterfragt. Fr die prinzipielle Funktionsweise des Zinsgeldsystems nehme ich hier an, dass alles mit rechten Dingen zugeht. [sagt der anonyme Autor]. Sptestens seit der Weltfinanzkrise bezogen auf das Bankensystem insgesamt eine offensichtlich realittsferne Annahme, an die viel zu lange viel zu viele geglaubt haben. Die Frage, wer eigentlich Einfluss auf die einflussreichen Zentralbanken hat (Geld regiert die Welt und wer regiert das Geld?), wird gar nicht erst gestellt. Die Zentralbanken werden statt dessen idealisiert als eine Institution, die die Zinsertrge aus Geldschpfung vollstndig in Gehlter ihrer Angestellten und (durch Abfhrung des Zentralbankgewinns) an den Staatshaushalt weiterleiten. Andere Anteilseigner der Zentralbanken ausser dem Staat scheint es demnach gar nicht zu geben. Damit wird ein wesentlicher problematischer Aspekt der Realitt (zum Beispiel der US-Notenbank FED, die sich weitgehend in den Hnden privater Grossbanken befindet) ausgeblendet.

Es wird flschlicherweise unterstellt, dass die Zentralbank der einzige Kreditgeber ist, der Geld schpfen darf. Damit wird die in hohem Masse problematische Giralgeldschpfung [fr Kredit aufnehmende Kunden] der Geschftsbanken geleugnet. (Zu deren Problematik siehe: Monetative)

 

Fragwrdige Schlussfolgerungen der Beweisfhrung

Auf der Grundlage fragwrdiger Annahmen kommt der anonyme Autor entsprechend auch zu fragwrdigen Schlussfolgerungen:

Dadurch wre dann auch bewiesen, dass in einem Zinsgeldsystem kein Zinseszinseffekt mit der damit verbundenen exponentiellen Verschuldung entsteht. Damit ist es auch nicht ntig, dass der Markt eines Zinsgeldsystems exponentiell wachsen muss, damit er weiter existieren kann.

Diese These scheint mir wiederum eine Realittsverleugnung zu sein. Nicht nur die mathematisch-abstrakte Zinseszinsformel zeigt, dass Geldvermgen und ihr Spiegelbild: die Schulden bei konstant bleibendem Zinssatz exponentiell wachsen. Auch ein Blick auf die Statistiken der tatschlichen Entwicklung von Geldvermgen und Schulden (einschliesslich der Staatsschulden) lsst diese Tendenz deutlich erkennen.

Im brigen ist der Aspekt der sich beschleunigenden Umverteilung von unten nach oben durch das Zinssystem (und die Auswirkung der unsichtbaren Zinsanteile in den Preisen und Steuern) vllig ausgeblendet. Die Einbeziehung dieses Aspekts wrde erkennen lassen, dass bei Gegenberstellung der (sichtbaren) Zinsertrge und der (sichtbaren wie unsichtbaren) Zinslasten nur etwa 10% der Einkommensbezger vom Zinssystem profitieren und sich daraus eine wachsende Polarisierung [ein Auseinandertriften] der Gesellschaft ergibt.

 

Schlussbetrachtung

Insgesamt ist der Beweis des anonymen Autors, dass das Zinsgeldsystem funktioniert gekennzeichnet von einem vielfltigen Ausblenden wesentlicher und besonders problematischer Aspekte der Realitt des bestehenden Geld- und Zinssystems. Damit liegt er auf einer Linie mit dem Mainstream der Wirtschaftswissenschaften (Neoliberale ebenso wie Keynesianer), der nicht zuletzt wegen der Realittsferne seiner abstraktmathematischen Modelle von der Weltfinanzkrise vllig berrascht war und ihr entsprechend hilflos gegenber stand und steht.

Aus den Reihen der Geldsystem- und Zinskritikern hingegen gab es schon lange Zeit vorher warnende Hinweise darauf, dass das System auf eine Weltfinanzkrise zusteuert, wenn nicht grundlegende Vernderungen im Geldsystem durchgesetzt werden.

Anstatt eine Ehrenrettung des Zinssystems und der es legitimierenden konomen und Theorien zu versuchen, wre es hchste Zeit, sich mit den Blinden Flecken der konomie vor allem im Bereich des Mainstreams zu konfrontieren und sie zu berwinden.6


Fussnoten

* Bernd Senf lehrte bis Mrz 2009 als Professor fr Volkswirtschaft an der Fachhochschule fr Wirtschaft in Berlin. Seither freischaffend mit Vortrgen, Seminaren, Workshops, Publikationen und der Begleitung zukunftsweisender Projekte. Von ihm stammt der Begriff der Monetative.

1 Kurt Schiltknecht, ehemaliger Chefkonom der Schweizerischen Nationalbank.

2 Walter Wittmann, emeritierter Professor fr Finanzen an der Universitt Freiburg (CH), Sachbuchautor. 1995 empfahl er als Typ fr den Anleger die USA. Sie befnde sich in einem langfristigen Aufstieg. Andere Staaten hatte er nicht oder nur mit Vorbehalt empfohlen.

3 Bernd Senf: Der gescheiterte Beweis

4 Netwebber: Das Zinsgeldsystem funktioniert

5 ebenda

6 WeitereQuellen:Bernd Senf/ Dailymotion (Suchwort: Bernd Senf) / Bernd Senf: Bankgeheimnis Geldschpfung (16-Seiten-Artikel unter google.de)/Bcher von Bernd Senf: Der Nebel um das Geld Die blinden Flecken der konomie Der Tanz um den Gewinn.