Abstieg in die Barbarei

[Auszug] Die Abstze werden eingeleitet, indem kurz zusammenfasst wird, was vor etwa einer Woche [in der ersten Hlfte Januar 2012] passierte: der Wissenschaftler Mostafa Rahmadi Roshan, 32 Jahre alt, verheiratet, Vater eines kleinen Jungen, wurde auf dem Weg zur Arbeit durch eine Bombe, die per Magnet am Auto angebracht wurde, in die Luft gesprengt. Seit 2010, so Hasan weiter, wurden bereits drei andere Wissenschaftler im Iran in hnlicher Weise umgebracht.

Unter diesen war Darioush Rezaeinejad, der im Alter von 35 Jahren im Juli 2011 direkt vor dem Kindergarten seiner Tochter ermordet wurde. Der Autor [Mehdi Hasan] zitiert Rick Santorum, US-Prsidentschaftskandidat 2012, der meint von Zeit zu Zeit ergibt es sich eben, dass Wissenschaftler im Iran, die am Atomprogramm arbeiten, tot aufgefunden werden, ich denke ganz ehrlich, dass das eine wunderbare Sache ist. Und Israels Militrpressesprecher Yoav Mordechai liess per Facebook verknden ich weiss nicht, wer da eine Rechnung beglichen hat mit dem iranischen Wissenschaftler, aber ich vergiesse gewiss keine Trne.

Die Morde an den Wissenschaftlern im Iran, genau so wie jene an Zivilisten im Westen Pakistans an der Grenze zu Afghanistan oder im Gazastreifen, bewegen sich alle ausserhalb jedweder Legalitt und obliegen keiner Gerichtsbarkeit. Die Politiker und deren Sicherheitsexperten, die derlei Schandtaten untersttzen und zu verantworten haben, finden immer wieder Terminologien die uns den Eindruck der Legitimitt vermitteln: Attentate, gezielte Ttungen, Drohangriffe, Ausschaltung. Nichts anderes als hfliche Tarnungen fr das, was man nur mit Mord bezeichnen kann. Die Umschreibungen dienen dazu, die Bevlkerung daran zu gewhnen und somit zu akzeptieren, was nichts anderes ist als staatliche Gewaltakte. Der Autor [Mehdi Hasan] nennt Beispiele aus dem Buch des pensionierten Offiziers der US-Armee, Dave Grossman: Kulturelle Distanz auf Rasse oder Ethnizitt als Unterschiede, die es dem Mrder erlauben, das Opfer zu entmenschlichen (als weniger menschlich zu betrachten).

Tolerante westliche Politiker beschweren sich einerseits ber die Todesstrafe fr angeklagte Mrder in diesem oder jenem Land, befrworten aber gleichzeitig die staatlich gesttzten Morde an Nuklearwissenschaftlern, Terrorverdchtigen und mutmasslichen Militanten anderswo, bei vlliger Straflosigkeit fr die Tter.

Dabei sind aber gezielte Ttungen nichts anderes als die Todesstrafe nur ohne Gerichtsverhandlung, zitiert der Autor [M. H.] Clive Stafford Smith, ein Anwalt fr Menschenrechte. Die kognitive Dissonanz (bei der den liberalen westlichen Politikern ihre eigene Widersprchlichkeit nicht auffllt oder verdrngt wird) ist in diesem Fall klar erkennbar und haufenweise vorhanden. Die Folter eines Terrorverdchtigen wird als moralisch fehlgeleitet angesehen, das Ermorden eines solchen aber, aus sicherer Entfernung heraus, wie bei einem Video-Spiel per ferngesteuerter Drohne, wird als moralisch korrekt angesehen.

Gelhmt durch Angst und Unsicherheit sind wir in eine Situation geschlafwandelt, in der Regierungen sich anmassen, ihre Feinde im Ausland ermorden zu lassen. Dabei muss es sich noch nicht einmal um Auslnder handeln. Mehrere US-Brger wurden nachweislich schon durch Drohnen der CIA umgebracht: Anwar al-Awlaki und Samir Khan, beide ermordet am 30. Sept. 2011 und Awlakis Sohn Abdul-Rahman zwei Wochen spter. Es gab weder Anklagen noch Gerichtsverhandlungen. Die genannten wurden von der US-Regierung umgebracht, in klarer Verletzung der Verfassung, Zusatzartikel fnf, der das Tten ohne ordentliche Gerichtsverhandlung verbietet. Gemss einer Untersuchung Reuters vom vergangenen Oktober knnen unter der Regierung Obamas US-Brger, die terroristischer Aktivitten beschuldigt sind, jetzt durch ein geheimes Gremium ranghoher Beamten auf eine Verhaftungs- und Todesliste gesetzt werden, die dann den Prsidenten ber deren Entscheidung informiert.


Quelle: guardian.co.uk, 16.1.2012, von Mehdi Hasan, bersetzt von Staphanos Mavros