An unsere SVP-Strategen: Kontroverse um die Freihandelsvertrge
Die Brger betrachten es als Missachtung des Souverns, wenn sie vom Bundesrat hinters Licht gefhrt werden. Da bleibt uns nur, das Volk durch wahrhaftige Berichte aufzuwecken und zum Widerstand gegen einen schleichenden EU-Beitritt und gegen fremde Richter zu motivieren.
Von Ernst Indlekofer
Schon whrend des Abstimmungskampfes gegen den Beitritt zum EWR betrieb ich im Herbst 1992 in der Mustermesse-Rundhalle in Basel, unter dem Namen Koordination gegen den EWR/EG-Beitritt (stellvertretend fr 19 deutschschweizerische EWR-Gegner-Komitees) einen Informationsstand mit tglich zwei bis vier Helfern.
Dies brachte es mit sich, dass ich 1999 gut gerstet fr den Kampf gegen die Bilateralen Vertrge war. Diese fllen rund 800 Seiten DIN A5 und sie werde kaum von mehr als einem Dutzend Parlamentariern vollstndig gelesen worden sein.
Christian Mundt schrieb im Beitrag der Weltwoche 43/2013 Die Lge der bilateralen Unabhngigkeit: Was in der Schweiz vermittelt wird, ist klassischer Freihandel (ein entsprechendes Abkommen existiert seit 1972). Durch diesen Hinweis erinnerte ich mich an meine Korrespondenz mit David Best und Botschafter Bruno Spinner vom Integrationsbro im Bundeshaus Ost, whrend der Abstimmung zu den bilateralen Vertrgen.
Es ging um die Frage, ob nach Annahme der Vertrge die (zweiseitigen) Freihandelsvertrge mit den EU-Mitgliedstaaten suspendiert und nach allflliger Kndigung der bilateralen Vertrge wieder aufleben wrden oder nicht. Verstndigungsschwierigkeiten gab es wegen ungleicher Benennung der Vertrge. Im Integrationsbro ging die Frage ein, ob es richtig sei, dass die bilateralen Vertrge unsere Freihandelsvertrge vernichten. Wie das Integrationsbro diese Abklrungen erschwert hatte, zeigt dieser Beitrag. Zum besseren Verstndnis sind zuvor die verwendeten Begriffe zu erklren:
Die Unterschriftensammlung Bilaterale Vertrge vors Volk! richtete sich gegen den Bundesbeschluss ber die Genehmigung der sieben sektoriellen Abkommen zwischen der Schweiz und der Europischen Gemeinschaft (EG). Diese sieben Abkommen werden meistens bilaterale Vertrge oder bilaterale Abkommen genannt. Die Schweiz hatte schon seit vielen Jahren mit allen europischen Lndern bilaterale Vertrge, oder anders gesagt zweiseitige Abkommen. Es ist daher zwischen den neuen bilateralen Vertrgen und den ber 100 bestehenden bilateralen Vertrgen zu unterscheiden.
Zustzlich kennen wir das Freihandelsabkommen. Um dieses entfachte sich eine umfangreiche Korrespondenz mit dem Integrationsbro. Anstoss dazu gab eine bei mir eingegangene Zuschrift von Herrn David Best, die folgende Antwort an den Fragesteller enthielt: Die Aussage, die bilateralen Vertrge wrden das Freihandelsabkommen von 1972 vernichten, macht Sie zu recht stutzig. Sie ist nmlich schlicht und einfach falsch. (Brief vom 13.11.1999, Ref. slt. #163583.1, an Herrn W. in St. Gallen.) Auf meine vier Fragen (Brief vom 16. Nov. 1999) an Herrn Best antwortete er wie folgt:
Freihandelsabkommen bleiben unverndert in Kraft
Das Freihandelsabkommen bleibt auch nach dem Inkrafttreten der nun vorliegenden sektoriellen Abkommen unverndert in Kraft. Der von Ihnen zitierte Passus betrifft nicht das Freihandelsabkommen, sondern die [] bestehenden bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und den einzelnen EU-Mitgliedstaaten. [] Die bestehenden zweiseitigen Vertrge mit den einzelnen EU-Mitgliedstaaten [werden] suspendiert, solange das Personenfreizgigkeitsabkommen in Kraft ist. Im Falle eines Ausserkrafttretens des Personenfreizgigkeitsabkommens wrden die alten zweiseitigen Abkommen wieder aufleben. (Hinweis: Diese klare Vereinbarung fehlt in den Vertrgen!) Ich antwortete Herrn Best (Brief vom 28. Nov. 1999): Unsere gegenstzlichen Ansichten ergeben sich offenbar dadurch, dass von den Freihandelsabkommen von 1972 statt von den bestehenden bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und den einzelnen EU-Mitgliedstaaten gesprochen wurde. Die wichtigste meiner vier Fragen an Herr Best war:
Wie und wo ist in den sieben Vertrgen geregelt, dass die suspendierten (alten) Abkommen im Falle eines Ausserkrafttretens der (neuen) bilateralen Abkommen wieder vollstndig in Kraft treten? Die dann eintreffende Antwort konnte ich nicht gelten lassen. Ich beschloss daher, mich beim obersten Chef des Integrationsbros, Herr Botschafter Bruno Spinner, zu beschweren. Mein Brief vom 4. Dezember 1999 hat folgenden Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Botschafter
Ich habe Herrn David Best mit Schreiben vom 28. November 1999 vier przise Fragen gestellt. Als Beilage erhalten Sie Briefkopien meiner Anfragen und des Antwortbriefes zu Ihrer Orientierung. Entweder ist Herr Best nicht willens oder nicht fhig, mir die einfachen Fragen zu beantworten. Ich wende mich daher in dieser Sache direkt an Sie mit der Bitte, mir die gewnschte Auskunft zu erteilen.
Herr Best behauptet mit Brief vom 26. November 1999, dass die bestehenden zweiseitigen Vertrge (bzw. Teile davon) mit den einzelnen EU-Mitgliedstaaten nur suspendiert werden und nach einer Kndigung der sektoriellen Abkommen wieder aufleben wrden. Laut Art. 59 Ziffer1 der Wiener Vertragsrechts-Konvention ist eher das Gegenteil der Fall. Die Konvention sieht als Regel die Beendigung frherer Staatsvertrge und nicht deren blosse Suspendierung vor.
Anstelle der erbetenen Antwort liess mir Herr Best die Botschaft des Bundesrates vom 23. Juni 1999 zu den bilateralen Vertrgen sowie die Broschre Sektorielle Abkommen zwischen der Schweiz und der Europischen Gemeinschaft vom 21. Juni 1999 zukommen. Der Inhalt beider Broschren war schon Bestandteil des Bundesblatts Nr. 34 vom 31. August 1999 auf den Seiten 6128 6488 und 6489 7110, die ich vor meiner Anfrage studiert habe. Die Antwort zu der unter Ziffer 2 gestellten Frage ber die Vertragsteile, welche das Wiederaufleben der bisherigen Abkommen regeln, ist hier nicht zu finden. Auf die Fragen unter Ziffer 1, 3 und 4 ist Herr Best nicht einmal eingetreten.
Ich betrachte es als Irrefhrung des Souverns, wenn Herr Best der glasklaren Frage ausweicht und lapidar erklrt, die Prinzipien dieses bereinkommens brauchen in vlkerrechtlichen Vertrgen nicht mehr speziell festgehalten [zu] werden. Ich habe nicht nach den Prinzipien der Wiener Vertragsrechts-Konvention gefragt, sondern den Nachweis fr die Richtigkeit seiner Behauptung verlangt, d.h. eine Kopie der entsprechenden Vertragstexte. Auch sein Hinweis auf die Sammlung des Bundesrechts ist keine Antwort auf meine Frage.
Ich bitte Sie, sehr geehrter Herr Botschafter, sich persnlich dafr einzusetzen, dass alle Fragen genau beantwortet werden, unter Beilage der jeweiligen Vertragskopien. Der Souvern hat das unabdingbare Recht, przis informiert zu werden, damit er seine verfassungsmssigen staatsbrgerlichen Rechte wahrnehmen kann.
Fr eine mglichst schnelle Erledigung meiner Anfrage danke ich Ihnen zum voraus.
Mit freundlichen Grssen
sig. E. Indlekofer
Antwort aus dem Bundeshaus
Am 15. Dezember traf die Antwort von Botschafter Bruno Spinner ein. Er hat auf meine Fragen freundlich und gewissenhaft geantwortet. Er erklrte ausfhrlich, warum die bestehenden bilateralen Abkommen bei einem allflligen Dahinfallen wieder aufleben wrden. Seine Erklrungen berzeugten mich aber nicht, denn je nach Standpunkt knnen die juristischen Sachverhalte verschieden ausgelegt werden. Wie uns die Alltagspraxis vor Augen fhrt, sind sich Juristen in derselben Sache oft uneinig. Dieselbe Erklrung steht auch in der Botschaft auf Seite 191, wo in Abs. 273.221 behauptet wird im Falle eines Ausserkrafttretens des Abkommens wrden [die alten Abkommen] wieder aufleben! Das steht so aber nicht in den Vertrgen. Die Vertragstexte, z.B. Artikel 20 Freizgigkeit, regelt diese Frage unklar. Dort ist mit keinem Wort die Rede davon, dass die alten Vertrge wieder aufleben. Da an mehreren Stellen der Vertrge von der spteren Kndigungsoption die Rede ist, muss aber das Fehlen dieser so wichtigen, eindeutigen Regelung fr diesen Fall sehr verwundern. Bei einer Kndigung wren unzhlige Streitereien mit der EG zu erwarten. Im Streitfalle wrde die EG sicher zu ihren eigenen Gunsten entscheiden.
Mit den ber 100 bestehenden bilateralen Vertrgen hat die Schweiz sichere Arbeitspltze und Wohlstand geschaffen, sie zhlt auch nach dem EWR-Nein zu den weltweit fhrenden Lndern. In vielen Bereichen fhrt sie vordere Rnge an.
In den Anhngen bzw. Schlussakten zu einigen Vertrgen (z.B. Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, Gter- und Personenverkehr auf Schiene und Strasse, Freizgigkeit) gibt es eine Gemeinsame Erklrung ber knftige zustzliche Verhandlungen. In dieser wird die Aktualisierung des Freihandelsvertrages beschlossen. Diese Verhandlungen sollen bald nach Abschluss der derzeitigen bilateralen Verhandlungen vorbereitet werden, heisst es dort. Ich frage mich: was passiert mit den Freihandelsvertrgen tatschlich?
Die Unabhngigkeit der Schweiz
Im Abstimmungskampf gegen die bilateralen Vertrge war ich berzeugt, dass das Wiederaufleben der Freihandelsabkommen ein Trick zum Stimmenfang von Befrwortern war. Vor allem, weil im ganzen Vertragswerk nichts davon geschrieben steht. Wieso aber besttigte Botschafter Spinner, der oberste Chef des Integrationsbros, das Wiederaufleben der Freihandelsvertrge? Nach dem Bericht von Christian Mundt ber die Lge der bilateralen Unabhngigkeit, aber auch wegen des folgenden Passus im Vertragswerk, bin ich meiner alten berzeugung nicht mehr so sicher. In einigen der sektoriellen Vertrgen heisst es: Die Vertreter, Sachverstndigen und sonstigen Bevollmchtigten der Vertragsparteien sind auch nach Beendigung ihrer Amtsttigkeit verpflichtet, im Rahmen dieses Abkommens erlangte Informationen, die unter das Berufsgeheimnis fallen, nicht preiszugeben. Hinweis: Botschafter Bruno Spinner ist Ende Dezember 1999 von seinem Amt zurckgetreten.
Ich werde den Verdacht nicht mehr los, dass mit gezinkten Karten gespielt wird. In Abkommen zwischen der Schweiz und der EU drfen unwahre Sachverhalte und Lgen nicht geduldet werden.
Bundesverfassung April 1999
Sie bestimmt im Art 9: Wahrung von Treu und Glauben; im Art. 54: Wahrung der Unabhngigkeit der Schweiz; im Art. 140 lit. b: Obligatorisches Referendum beim Beitritt zu supranationalen Gemeinschaften; und im Art. 141 lit. d, 3: Fakultatives Referendum bei einer multilateralen Rechtsvereinheitlichung.
Die Bundesrte sind durch ihren Eid gebunden und haben sich an die Bundesverfassung zu halten.
PS. Diesen Brief an SVP-Juristen und andere Interessierte weitergeben. Sollten nach Kndigung der Sektoriellen Abkommen die Freihandelsvertrge von 1972 wieder aufleben, wie mir Botschafter Spinner versichert hatte, htten Bundesprsident Burkhalter und Bundesrtin Simonetta Sommaruga ihr Marignano. Die Hoffnung ist klein, aber es darf nicht unversucht bleiben. Freiheit und Unabhngigkeit der Schweiz verdienen jeden Einsatz.