Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges

Von Gerd Schultze-Rohnhof

(ei.) Vortrag vom Dezember 2007 des gleichnamigen Autors des Buches 1939: Der Krieg, der viele Vter hatte. Der lange Anlauf zum Zweiten Weltkrieg Olzog Verlag, Mnchen. Schultze-Rohnhof (Jg. 39) trat 1959 in die Bundeswehr ein und war von April 1985 bis September 1989 im Rang eines Brigadegenerals Kommandeur der Panzergrenadierbrigade 19 in Ahlen. Nach Befrderung zum Generalmajor war er von September 1991 bis September 1994 Kommandeur der 3. Panzerdivision in Hamburg. Ausserdem war er Territorialer Befehlshaber fr die Bundeslnder Niedersachsen und Bremen. 1996 wurde er aus der Bundeswehr verabschiedet. Der Generalmajor a. D. sorgte besonders 1995 fr Aufsehen, als er das Bundesverfassungsgericht wegen des sogenannten Soldaten sind Mrder-Urteils ffentlich kritisierte und deshalb die Bundeswehr verliess. Das Bundesverfassungsgericht hatte eine Beschwerde gegen den Mrdervorwurf abgewiesen. Die Forderung Bischof Wolfgang Hubers, Martin Hohmann aus der CDU-Bundestagsfraktion auszuschliessen (vgl. , Nov. 2003), nahm er zum Anlass, aus der evangelischen Kirche auszutreten. Seit einigen Jahren tritt Schultze-Rhonhof als Publizist u. a. mit Arbeiten zur Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges in Europa hervor.

Gegen Schultze-Rohnhof wurden wste Verleumdungen losgetreten, die darin gipfeln, er wrde in seinem Buch rechtsextremistische Quellen aufzhlen, wie etwa den US-Historiker David L. Hoggan, dessen Werke zum 2. WK, verglichen mit anderen, die umfassendsten polnischen Primrquellen aufweisen, oder Friedrich Grimm, einer der renommiertesten europischen Rechtsanwlte seiner Zeit, der weit ber die deutschen Grenzen hinaus bekannt war. So auch in der Schweiz. In Chur stand 1936 der jdische Student David Frankfurter wegen Ermordung des Landesgruppenleiters der Auslandsorganisation der NSDAP in der Schweiz, Wilhelm Gustloff in Davos, vor Gericht. Grimm war Vertreter der Zivilpartei im Auftrage der Witwe des Ermordeten. Der Verteidiger pldierte mehrere Tage und sprach nicht zur Sache sondern machte Propaganda. Grimm pldierte in 20 Minuten kurz und sachlich. Der Tter wurde zur Hchststrafe, 16 Jahre Gefngnis, verurteilt. Unter dem Eindruck der Pldoyers schlug die Stimmung in der Schweiz um. Die Schweizer Presse, die bis dahin dem Angeklagten freundlich gewesen war, missbilligte die Art seiner Verteidigung. Die Korrektheit der deutschen Prozessfhrung wurde auch vom Schweizer Gericht und der Schweizer Regierung anerkannt. Die Schweizer Regierung richtete nach dem Prozess an die Reichsregierung eine Note, in der sie die einwandfreie Haltung der deutschen Prozessvertretung hervorhob. Wer sich auf Grimm beruft, gilt heute als rechtsextrem!

Mit penetranter Unverfrorenheit unterstellt man Schultze-Rohnhofs Werk Absurditt, weil es nicht der Mehrheitsmeinung von Forschung und Lehre entspricht. Da haben wirs! Wer sich nicht der Mehrheitsmeinung fgt, wird gechtet. Die anerkannten historischen Fakten zum 2. WK verkommen zum Ergebnis skrupelloser Erpressung. In der ra der Antirassismus- und Volksverhetzungsparagraphen werden Mrder mit Samthandschuhen angefasst und Menschen, die von der verfassungsmssig garantierten Meinungsfreiheit Gebrauch machen, bedroht, gedemtigt und entrechtet, der Wahrheit verpflichtete Forscher ihrer Lehrsthle beraubt und jahrelang ins Gefngnis geworfen. Schultze-Rohnhofs Vortrag demonstriert die berlegenheit nicht zu widerlegender Fakten ber Meinungsterror.

 

Vor ein paar Jahren bin ich der Frage nachgegangen inwieweit die deutsche Bevlkerung in den 30er Jahren aus der deutschen Hochrstung zwischen 1933 und 39 auf Hitlers Kriegsabsichten schliessen konnte. Dass man ja nicht rstet, um sein Geld gut anzulegen, dafr geht man besser zur Sparkasse Mnchen, sondern man rstet, um sich zu verteidigen, um jemand anzugreifen oder jemandes Bndnispartner zu werden.

Es gibt immer diesen Jemand als Referenzsystem fr die eigene Rstung. Und wenn man erkennen will, zu welchem Zweck ein Land rstet, dann muss man seine Rstung mit der Rstung der umgebenen Nachbarlnder vergleichen. Daraus kann man ungefhr die Absichten, die hinter dieser Rstung stehen, ablesen. Dafr gibt es eine ganz einfache Faustformel: Wenn ein Staat versucht dreimal so viel Streitkrfte zu haben wie seine Nachbarn oder sein strkster Nachbar, dann kann man ihm Aggressionsabsichten unterstellen. Wenn sich ein Land mit einem Drittel der Streitkrfte der Nachbarn zufrieden gibt, kann man davon ausgehen, dass es nur rstet, um sich im Notfall verteidigen zu knnen. Wenn ich belegen wollte, dass Hitler ab 1933 einen Angriffskrieg vorbereitet hat, dann muss ich die deutsche Rstung mit der zeitgleichen Rstung der Nachbarlnder vergleichen, und zwar ganz konkret deutsche Rstung vergleichen mit der Rstung Frankreichs und der Staaten, die mit Frankreich gegen Deutschland verbndet waren. Also England und die Sowjetunion gar nicht einmal mitgezhlt, weil diese nicht unmittelbare Nachbarn sind. Also ergriff ich mir die einschlgige deutsche Fachliteratur und suchte nach der zeitgleichen Rstung des Auslandes und fand nichts! Die gesamte deutsche Nachkriegsgeschichtsschreibung schweigt sich weitgehend zur zeitgleichen Rstung des Auslands aus. Nur die auslndische Marinerstung, die ist in Deutschland hervorragend dokumentiert.

Also, wenn ich die Zahlen brauchte, die ich zu meinem Vergleich haben musste, dann musste ich an auslndische Literatur herangehen. Und so habe ich mir tschechische, englische, franzsische, amerikanische Literatur besorgt, die es alle in guter deutscher bersetzung gibt. [] Ich habe zu meinem grossen Erstaunen festgestellt, dass eine ganze Reihe auslndischer Historiker nach dem Krieg ihren Regierungen der 20er und 30er Jahre vorwerfen, sie htten den Zweiten Weltkrieg verhindern knnen, wenn sies nur gewollt htten. Manche gehen sogar so weit, ihren Regierungen vorzuwerfen, sie htten den Zweiten Weltkrieg mit angezettelt.

Solches habe ich in deutscher Literatur nie gelesen. Da bin ich neugierig geworden und hab mir mehr Bcher besorgt, mehr gelesen. Da hab ich geguckt, aus welchen Quellen diese Historiker schpfen, hab mir die Quellen besorgt so weit dies mglich war, bin in Archive gegangen, hab Memoiren gelesen und damit hing ich an dem Thema: Wer hat eigentlich den Zweiten Weltkrieg angezettelt?

Aber ehe ich auf dieses Thema komme, will ich Ihnen das Rtsel auflsen: Wie war denn nun das Rstungsverhltnis Deutschlands zu seinen Nachbarn 1933? Frankreich und die mit Frankreich gegen Deutschland verbndeten Staaten hatten 1933 an aktiven Friedensheeresdivisionen eine berlegenheit von 1 : 12. Und wenn man die ausgestatteten und ausgebildeten Grossverbnde mitzhlt, war die berlegenheit 1 : 97. Wenn man sich dann noch ins Gedchtnis zurckruft, dass im damaligen Frieden und wir hatten ja schliesslich den Versailler-Frieden geschlossen in Friedenszeiten franzsische Truppen in Deutschland einmarschierten, belgische Truppen, litauische Truppen, polnische Truppen und Milizen, und Grenzbereiche Deutschlands wie z. B. das Ruhrgebiet, was ja nicht einmal ein Grenzbereich ist, zeitlich begrenzt oder fr immer besetzt oder annektiert haben, dann kann man verstehen, dass die deutsche Bevlkerung 1933 eine ganz andere Brille fr dieses Problem aufhatte. Sie wollte nicht mehr, dass jeder Nachbarstaat auf unserem Territorium machen konnte, was er wollte. Und, dass die kleine Reichswehr mit ihren zehn Divisinchen das nicht abwehren konnte. Die Masse der deutschen Bevlkerung hat damals die Wiederaufrstung begrsst, weil sie Schutz wollte. Und selbst zu Kriegsbeginn, als dieser Rstungsprozess zunchst mal zu bilanzieren ist, hatten wir Deutsche immer noch eine Heeresunterlegenheit von 1 : 2 . Von daher konnte die deutsche Bevlkerung von damals aus diesem Indiz nicht schliessen, dass die deutsche Rstung auf einen Angriffskrieg ausgelegt war.

Meine Damen und Herren, ich war von dem, was sich mir durch auslndische Literatur und durch Akteneinsichten in Archiven erschlossen hat, so fasziniert, dass ich bald beschloss, das zusammenzufassen und in einem Buch zu verffentlichen. Und so entstand mein Buch 1939, Der Krieg, der viele Vter hatte. Nun ist der Titel etwas irrefhrend: Man knnte meinen, das Buch handle vom Krieg. Aber die Schlsselworte sind die vielen Vter, und nicht der Krieg.

Zur Vorgeschichte des Krieges: Die Lage in Europa ist seit dem Ende des Ersten Weltkriegs vor dem Zweiten Weltkrieg nie frei von Spannungen und Kriegen gewesen. Polen und die Sowjetunion hatten ihre Spannungen und Kriege, Polen und Litauen hatten Spannungen und einen Krieg, Frankreich und Italien hatten Differenzen um Territorien. Genauso Dnemark und Norwegen, Italien und England, Jugoslawien und sterreich, Deutschland und die Tschechoslowakei, Ungarn und die Tschechoslowakei, Polen und die Tschechoslowakei, Spanien und Italien, Italien und Albanien usw.

Das alles hlt Europa zwar in einem dauerhaften Fieberzustand, doch der grosse Knall kommt erst, als Deutschland 1933 Danzig zurckverlangt und dazu noch eine exterritoriale deutsche Autobahn durch den polnischen Korridor hindurch vom Reichsgebiet in das seit 1918 abgetrennte Ostpreussen. Fr mich hatte Adolf Hitler nach meinem frheren Verstndnis den Zweiten Weltkrieg ausgelst, als er mit brachialer Gewalt die Danzig- und die Korridorfrage gegen Polens und Englands Willen durchsetzen wollte. 1967 hat der israelische Botschafter Ascha ben Natan, Botschafter in Bonn, interessanterweise einmal auf die Frage eines Journalisten, wer denn den Sechstagekrieg begann und wer die ersten Schsse abgegeben habe, geantwortet: Das ist gnzlich belanglos! Entscheidend ist, was den ersten Schssen vorausgegangen ist. Und damit bin ich bei der Frage, die ich mir frher so nie gestellt habe: Was ist den ersten Schssen vom 1. September 1939 vorausgegangen? Eine Vorgeschichte, ber die ich jetzt sprechen will.

Ich habe in den vergangenen Jahren ja einiges gelesen, was meine einfache Sicht mit Hitler als alleinigem Verursacher des Zweiten Weltkrieges differenziert hat. Da hab ich mich natrlich fragen mssen, woher mein so einfaches Geschichtsbild kam? Ich hatte mein Geschichtsbild von dem, was man so hrt und liest, vor allem aber aus meiner eigenen Schulzeit, und da habe ich mich gefragt, was die Schulkinder denn heute so lernen? Heute, ber die Entstehung des Zweiten Weltkriegs? Da hab ich mir das Schulgeschichtsbuch meiner jngsten Tochter genommen, die in Buxtehude durch das Abitur gegangen ist: Unsere Geschichte, Band 4. Dieses Schulgeschichtsbuch vermittelt den Kindern ein sehr einleuchtendes Bild von der Genese des Zweiten Weltkrieges. Es vermittelt den Kindern das Bild von einer Reichsregierung, die 1939 auf den Krieg drngt, die nicht vor allem die Danzig-Frage lsen will, sondern Polen erobern will. Dazu zitiert dieses Schulbuch aus einer Hitler-Rede, die Hitler am 22. August 1939, eine Woche vor Kriegsbeginn, vor Befehlshabern der Wehrmacht hlt. Ich mchte Ihnen das mal vorlesen, was hier als Zitat steht, und diese Zitate finden Sie in fast allen Schulgeschichtsbchern Niedersachsens. Hier sagt Hitler vor den Befehlshabern, so in diesem Buch zitiert:

Die Gegner haben nicht mit meiner grossen Entschlusskraft gerechnet. Unsere Gegner sind kleine Wrstchen, ich sah sie in Mnchen. Nun ist Polen in der Lage, in der ich es haben wollte. Ich habe nur Angst, dass mir noch im letzten Moment irgend ein Schweinehund einen Vermittlungsplan vorlegt. (Seite 128 dieses schnen Geschichtsbuchs.)

Die Schler lernen mit dieser Redewendung, dass Hitler Krieg um jeden Preis wollte. Ich erinnere Sie noch einmal an den zuletzt zitierten Satz: Ich habe nur Angst, dass mir noch irgend ein Schweinehund einen Vermittlungsvorschlag vorlegt. Der Satz spricht Bnde. Nur, er ist eine Flschung. Er ist fr den Nrnberger-Prozess nachtrglich in das Redeprotokoll dieser Hitler-Ansprache eingefgt worden, um die Rede als Beweismaterial gegen die Hauptangeklagten etwas anzuspecken. Der Eindruck, der den Schlern hier vorgetuscht wird, ist, dass Hitler nicht verhandelt hat und dass Hitler nicht verhandeln wollte.

Wussten Sie, dass Hitler noch am Nachmittag vor Kriegsbeginn dem Reichstagsprsidenten und Luftfahrtsminister Gring seine Zustimmung fr Verhandlungen mit dem englischen Botschafter in Berlin gegeben hat, um den Krieg abzuwenden und die Danzig-Frage ohne Krieg zu lsen? Wussten Sie, dass die Deutsche Reichsregierung die Britische Regierung gebeten hatte, in der Danzig-Frage zwischen Deutschland und Polen zu vermitteln? Wussten Sie, dass Hitler in den letzten zehn Tagen vor dem Krieg an die Italienische Regierung geschrieben hat, an die franzsische und an die englische, um den Krieg abzuwenden, das Danzig-Problem ohne Krieg zu lsen? Wussten Sie, dass die Deutsche Reichsregierung den Polen kurz vor Kriegsausbruch ein 16-Punktevorschlag zur Regelung der deutsch-polnischen Differenzen gemacht hat? Die Polen haben diesen Vorschlag in der Sache selbst nicht angenommen. So musste dieser Vorschlag ber London nach Warschau gehen und so kam er in die Hnde der britischen Kabinettsmitglieder. Mancher Minister nimmt seine Dienstsache wohl mit nach Hause. Die Frau des gerade zurckgetretenen britischen Marineministers Cooper bekam die 16 deutschen Punkte bei ihrem Ehemann zu lesen und sagte zu ihrem Mann: Ich weiss gar nicht, was du willst. Der deutsche Vorschlag ist doch so vernnftig. Da packte den Minister Cooper das Entsetzen, denn ihm wurde auf einmal klar, dass die britische ffentlichkeit auf den deutschen Vorschlag genau so reagieren knnte, wie seine eigene Frau. Und Cooper rief die Redaktion von Daily Mail und Daily Telegraph an und forderte die Redakteure auf, den deutschen Vorschlag in einem mglichst ungnstigen Licht darzustellen. Nun hatte die Reichsregierung angekndigt, den 16-Punktevorschlag am Abend dieses Tages ber Rundfunk bekanntzugeben. Und da bat auch noch der englische Botschafter in Berlin, Henderson, im Aussenministerium, man mge diesen deutschen Vorschlag nicht ber Rundfunk bekanntgeben, mit der etwas fadenscheinigen Begrndung, das knne ja die Verhandlung mit den Polen stren.

Der franzsische Historiker Rassinier hat nach dem Krieg ber diesen deutschen Friedensvorschlag geschrieben: Htten das franzsische und das britische Volk am 30. August 1939 von diesem deutschen Vorschlag Kenntnis gehabt, so htten Paris und London kaum den Krieg an Deutschland erklren knnen, ohne einen Sturm der Entrstung hervorzurufen, der den Frieden durchgesetzt htte.

Nun werden Sie sich fragen, woher ich das alles weiss. Ich weiss es aus den Akten des Nrnberger-Prozesses, aus den Akten des Foreign-Office, aus den Akten des Auswrtigen Amtes, aus den Darstellungen zweier franzsischer Historiker und aus den Schilderungen der damals beteiligten Botschafter. In den letzten zehn Tagen vor Kriegsausbruch ist intensiv zwischen Berlin und London verhandelt worden, um die deutsch-polnischen Probleme ohne Krieg zu lsen. Die Polen weigerten sich aber, darber zu verhandeln, so ging das alles ber London. Welches waren die Probleme? Wir alle wissen noch, dass es sich damals um Danzig gehandelt hat und um die exterritorialen Verkehrsverbindungen vom Reichsgebiet in das damals abgetrennte Ostpreussen. Also um die sogenannte Korridorfrage. Was vergessen ist, und was seit dem Kriege aus den deutschen Schulbchern verbannt ist, ist die humanitre Tragdie der nichtpolnischen Minderheiten in Polen. Das nach 1919 wieder selbstndige Polen hatte neben 19 Millionen polnisch sprechenden und rmischkatholischen Staatsbrgern, auch 5 Millionen Ukrainer, 2  Millionen Juden, 2 Millionen Deutsche, 1,2 Millionen Weissrussen und in die Zigtausend zhlende Minderheiten an Litauern, Tschechen, Ungarn und Katschumen. Die 19 Millionen polnischen Polen versuchten von 1919 an, ihre etwa 11 Millionen nichtpolnischen Staatsbrger sprachlich zu polnisieren und konfessionell zu katholisieren. Sie kndigten das Minderheitenschutzabkommen, das ihnen die Siegermchte 1920 auferlegt hatten und verfolgten die nichtpolnischen Staatsbrger im eigenen Staat. Wenn ich Ihnen jetzt etwas ber das Schicksal der Volksdeutschen in Polen vortragen wrde, wrde sicher mancher von Ihnen denken, ja na, das ist Vertriebenengerede, das kennen wir schon. Deshalb will ich nicht ber die Volksdeutschen sprechen, sondern ber die grsste Minderheit in Polen, ber die 5 Millionen Ukrainer. Deren Schicksal ist deshalb gut dokumentiert, weil viele Ukrainer in der damaligen Zeit aus Polen nach britisch Kanada ausgewandert sind, und so haben sich britische Medien und Parlamente immer wieder um das Schicksal der Ukrainer in Polen gekmmert und das beobachtet. So schreibt der Manchester Guardian am 14. Dezember 1931: Die Minderheiten in Polen sollen verschwinden. Diese Politik wird rcksichtslos vorangetrieben ohne die geringste Beachtung der ffentlichen Meinung in der Welt, der internationalen Vertrge und des Vlkerbunds. Die Ukraine ist unter polnischer Herrschaft zur Hlle geworden. Von Weissrussland kann man dasselbe mit noch grsserem Recht sagen. Das Ziel der polnischen Politik ist das Verschwinden der nationalen Minderheiten auf dem Papier und in der Wirklichkeit. So weit der Manchester Guardian. Er sagte, auch die [kanadischen] Parlamente haben sich ab und zu mit dieser Minderheitenfrage in Polen befasst, so liegt ein Protokoll einer Sitzung des Oberhauses vom 15. Juni 1932 vor, in dem ein Lord Nol Baxten vor dem Oberhaus ber die jngsten Verhandlung beim Vlkerbund in Genf vortrgt. Er sagt:

In den letzten Tagen sind auf den Tagungen des Rats des Vlkerbundes wichtige Fragen die die nationalen Minderheiten betreffen, behandelt worden. Vor allem wurde auf der Januartagung ein Bericht verhandelt, der sich mit der sogenannten Terrorisierung beschftigte, die im Herbst 1930 in der polnischen Ukraine stattgefunden hat. Die Assimilierung durch Zerstrung der Kultur ist dort an der Tagesordnung. Aus dem Korridor und aus Posen sind bereits nicht weniger als eine Million Deutsche seit der Annexion abgewandert, weil sie die Bedingungen dort unertrglich finden. Im polnischen Teil Ostgaliziens wurden vom Ende des Krieges bis 1929 die ukrainischen Volksschulen um zwei Drittel vermindert. In den Universitten, in denen die Ukrainer unter sterreichischer Herrschaft elf Lehrsthle inne hatten, besitzen sie jetzt keinen, obwohl ihnen 1922 von der polnischen Regierung eine eigene Universitt versprochen worden war. In dem Teil der polnischen Ukraine der frher zu Russland gehrte, in Wolnien sind die Bedingungen noch hrter. In der ganzen Ukraine gibt es ein System der polizeilichen Verfolgung.

Dieser Nol Baxten fhrt an spterer Stelle fort: Wir knnen in diesem Zusammenhang eine besonders beklagenswerte Tatsache nicht beiseite lassen. Nmlich die Folterung von Gefangenen in Gefngnissen und von Verdchtigen, die sich die Ungnade der polnischen Behrden zugezogen haben. berzeugende Beweise dafr, dass in solchen Fllen mittelalterliche Foltern angewendet werden, liegen zu meinem Bedauern vor.

Diese Darstellungen wurden im Vlkerbundsrat durch Lord Cecil, als Delegierter der britischen Regierung, als das Gewissen der Menschheit erschtternd, bezeichnet. Sie sind vom Vlkerbundsrat nicht untersucht worden, wie das htte erfolgen mssen. Soweit zwei englische Stimmen. Aber auch in Frankreich ist nicht unbeobachtet geblieben, was sich in Polen der damaligen Zeit mit den Minderheiten abgespielt hat. So schreibt ein franzsischer Slawistikprofessor, der insgesamt drei Bcher ber das Polen der damaligen Zeit geschrieben hat, und unter dem Anschluss der Westukraine die Zwangsmittel durch Polen vor Ort miterlebt hat: Es wurde erschossen, gehngt, gefoltert, eingesperrt, beschlagnahmt. Viele ukrainische Priester wurden hingerichtet.

Um berfllung in den Gefngnissen zu vermeiden, machten die Polen keine Gefangenen. Die Gefngnisse von Lemberg quellen ber von Ukrainern aller Schichten. Ihre einzigen Verbrechen bestanden darin, Ukrainer zu sein, oder ukrainisch zu sprechen. Das war die Stimme eines Franzosen.

Den anderen Minderheiten ging es nicht anders. Zwischen 1934 und 38, als in Deutschland schon die Judenverfolgung luft, verlassen 757000 Juden, also ber eine halbe Million Juden, Polen und suchen in Deutschland oder auf dem Weg ber Deutschland, Zuflucht im Ausland. 1939 verschlechtern sich auch die Lebensbedingungen der deutschen Minderheiten wieder dramatisch. Ich hatte schon erwhnt, dass die Polen das Minderheitenschutzabkommen von 1920 einseitig aufgekndigt hatten. Die Reichsregierung hatte dann 1934 mit der polnischen Regierung ein bilaterales Minderheitsschutzabkommen geschlossen, dessen Wirkung nicht lange vorgehalten hat. Dann hat die Reichsregierung noch einmal im November 1937 ein bilaterales Minderheitenschutzabkommen mit den Polen geschlossen. Und dessen Wirkung war 1939 auch schon wieder verpufft. Den Deutschen wurden Schulen geschlossen, Geschfts- und Betriebslizenzen entzogen, Arztapprobationen entzogen, Bauernhfe angesteckt, Geschfte boykottiert, Deutsche auf offener Strasse verprgelt. Und die Deutschen, die versuchten, dieser Drangsal durch Flucht ins Reichsgebiet zu entkommen, wurden, wenn sie an der Grenze gestellt wurden, beschossen und erschossen, wie Jahrzehnte spter Deutsche auf der Flucht aus der DDR in den Westen. hnliche Verhltnisse! Trotzdem sind im August 1939 bereits etwa 80000 deutsche Flchtlinge aus Polen in den Sammellagern im Reichsgebiet und Danzigergebiet angekommen. Alle Minderheiten in Polen erleiden 1939 eine humanitre Tragdie wie die Minderheiten in Jugoslawien unter Milosevic. Nur, da haben wir noch die Fernsehbilder im Gedchtnis und deshalb ist das im kollektiven Gedchtnis Europas enthalten, von der Minderheitentragdie 1939 und davor in Polen ist im kollektiven Gedchtnis Europas nichts mehr vorhanden und auch unsere Schulbcher schweigen sich darber aus.

Von 1920 bis 39, also in der Zwischenkriegszeit, gehen beim Vlkerbund in Genf etwa 15000 Minderheitenbeschwerden aus Polen ein, denen der Vlkerbund nicht abhilft. Das Auswrtige Amt in Berlin registriert allein im letzten Halbjahr vor Kriegsbeginn etwa 1500 Flle von Willkrakten, Rechtsbrchen und Drangsalierungen an Deutschen in Polen. Der damalige Staatssekretr von Weizscker, Stellvertreter des Reichsaussenministers von Ribbentrop, brigens auch Vater unseres spteren Bundesprsidenten, schreibt dazu in seinen Erinnerungen: Unsere diplomatischen und Konsularberichte aus Polen zeigten wie 1939 die Welle immer hher auflief und das ursprngliche Problem Danzig und die Passage durch den Korridor berdeckte. In dieser Lage einer humanitren Katastrophe glaubte Hitler zu einer baldigen Regelung der Danzig-, der Korridor- und der Minderheitenfrage kommen zu mssen. Und er hat das gegenber den Briten und Franzosen 1939 immer wieder zum Ausdruck gebracht, in jeder Note, in jedem Gesprch hat er gesagt und geschrieben, dass die deutsch-polnischen Probleme noch in diesem Jahr 1939, wegen des Schicksals der verbliebenen eine Million Deutschen in Polen geregelt werden muss. Er hat immer gesagt und geschrieben, es ist unaufschiebbar geworden.

Hitler hat den Polen seit Oktober 1938 immer wieder Vorschlge unterbreitet und im August 39, also elf Monate spter, dann ein Ultimatum gestellt. Etwas, was mich sehr erstaunt hat, war, dass Hitler in den letzten Tagen vor Kriegsausbruch, als er schon den Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion in der Tasche hatte, die Wehrmacht also htte losschlagen knnen, dass Hitler dann noch dreimal den schon festgelegten Angriffsbeginn der Wehrmacht verschoben hat. Es ist interessant in den Tagebchern der Wehrmacht seine Begrndung zu lesen. Er sagt jedes Mal, ich brauche noch Zeit zum Verhandeln. Und dann steht in unseren Schulgeschichtsbchern dieser schne geflschte Hitler-Satz Ich habe nur Angst, dass mir noch ein Schweinehund einen Vermittlungsvorschlag vorlegt.

Hitler hat sich bei seinen Verhandlungen eines schwedischen Vermittlers bedient. Des schwedischen Industriellen Birger Galerus. Galerus hatte ausgezeichnete Privat- und Geschftskontakte sowohl nach London als auch nach Berlin. Er hatte sich zu diesen Vermittlerdiensten, weil er ein persnlicher Bekannter von Gring war, selbst angeboten, und er hat in den letzten zehn Tagen vor Kriegsbeginn das gemacht, was wir heute eine Pendeldiplomatie nennen. Er ist ein- bis zweimal pro Tag zwischen London und Berlin hin- und hergeflogen, hat die Noten berbracht, die Lsungsvorschlge, die jede Seite gemacht hat, und hat jeweils interpretiert, der einen Seite, was die andere Seite so denkt und wie weit sie in Kompromissen gehen knnte. Er war ein ehrlicher Makler. Man kann den Gang der Verhandlungen aus den Aufzeichnungen des Birger Galerus genau rekonstruieren. Man kann sie auch aus den Akten des Deutschen Auswrtigen Amtes genau rekonstruieren, auch aus den Akten des Englischen Foreign Office und aus den Prozessakten des Nrnberger-Prozesses und aus den Aufzeichnungen der beteiligten deutschen und englischen Botschafter. Und was das Verblffende ist, die Aufzeichnungen, egal ob schwedisch, englisch oder deutsch, stimmen, was den Verlauf der Verhandlungen und die Verhandlungsgegenstnde betrifft, minuzis berein. Da gibt es berhaupt keinen Zweifel, was da in den letzten zehn Tagen verhandelt worden ist. Und trotzdem berichten die Deutschen Schulgeschichtsbcher nichts aber auch gar nichts darber. Es wird nichts erwhnt, weder die humanitre Tragdie der ukrainischen, jdischen, deutschen, weissrussischen Minderheiten in Polen, noch die Versuche des Ausbruchs eines Krieges zu verhindern. Ich fand die Verhandlungen in den letzten Tagen vor Kriegsbericht so spannend, dass ich die letzten Tage, Tag fr Tag, Stunde fr Stunde in meinem Buch nachgezeichnet habe. Ich hab, als ich die Dinge so in den Akten gelesen habe, gedacht, ich lese einen Krimi.

Wir machen nun einen Zeitsprung zurck auf 1918. Das deutsch-polnische Verhltnis zwischen den beiden Kriegen war nicht immer so schlecht wie 1939. Der Staat ist schlecht und auch das Ende. 1918 nehmen sich die Polen, nachdem das Deutsche Reich gegenber Amerika, England und Frankreich im Westen hatte Frieden schliessen mssen, die bis dahin deutschen Provinzen Posen und Westpreussen. Sie tun dies, ehe ihnen diese Gebiete von den Siegermchten zugesprochen werden. Westpreussen war immerhin zu 70 % deutsch besiedelt. So dass dieser Gewaltstreich Polens von keiner Weimarerregierung anerkannt worden ist. 1918 und 19 fordert Polen in Versailles ausserdem Teile von Pommern, Schlesien und Ostpreussen fr sich, was ihm jedoch nicht zugestanden wird, aber doch ngste in Deutschland hinterlsst. 1921 startet Polen den Versuch, ganz Oberschlesien mit Milizen und den dort ansssigen polnischen Gastarbeitern, zu erobern. Nach einer Volksabstimmung, die Polen zu verhindern sucht, erhlt es das ostoberschlesische Industriegebiet von den Siegerstaaten zugesprochen. 1933 fordert Polen Frankreich drei Mal zu einem Zweifrontenkrieg gegen Deutschland auf, was Frankreich allerdings ablehnt. Polen verfgt 1933 mit knapp 300000 Mann im Heer, immerhin noch ber dreimal soviel Militr wie Deutschland mit seinem Hunderttausendmann Heer. So wird Polen vor Hitlers Amtsantritt 1933 von allen demokratischen Parteien in Deutschland und von der Reichswehr als Bedrohung angesehen. Erst unter den Diktatoren Hitler in Deutschland und Pilsudski in Polen gibt es eine Annherung fr ein paar Jahre, die auch nach Pilsudskis Tod 1935 noch fr eine Weile anhlt. Nach Pilsudskis Versuch von 1933, Frankreich zu einem Krieg gegen Deutschland aufzuwiegeln, der ja erfolglos war, lenkt Pilsudski ein. Er schliesst 1934 mit Hitler einen Freundschaftsvertrag. Dem folgte der schon erwhnte bilaterale deutsch-polnische Minderheitenschutzvertrag. Das nun stabile deutsch-polnische Verhltnis fhrt dazu, dass Polen sich 1938 seine Landerwerbung in der zerfallenen Tschechoslowakei von Hitler billigen lsst. Polen annektiert 1938 den tschechischen Teil des Industriegebiets von Teschen. Und dabei auch die weitgehend deutsch bewohnte Stadt Oderberg, auf die ich noch zu sprechen komme. Teschen, fr den, der das nicht weiss: das Teschenergebiet ist die Ostfortsetzung von Oberschlesien. Da Polen von 1918 bis 1938 seine Nachbarn Sowjetunion, Litauen, Deutschland und Tschechoslowakei je ein- oder mehrfach angegriffen und Grenzgebiete aller seiner Nachbarn annektiert hat, ist Polen bis 1938 fr England das, war wir heute als Schurkenstaat bezeichnen. Obwohl sich Deutschland und Polen bis 1938 angenhert haben, gibt es weiterhin die drei deutsch-polnischen Probleme. Erstens die Wahrung der Menschenrechte der Deutschen in Polen, zweitens den deutschen Wunsch, das deutsche Danzig wieder an Deutschland anzuschliessen, schliesslich fordern das die zu 97 % deutschen Bewohner Danzigs seit Jahren, und Danzig war Vlkerbundsmandat und nicht Teil des Staates Polen. Aber die Sieger hatten Polen in Danzig besondere Zoll-, Post-, Bahn , Wege- und diplomatische Rechte eingerumt. Das dritte Problem ist der deutsche Wunsch nach exterritorialen Verkehrswegen vom Reichsgebiet in das seit 1918 abgetrennte Ostpreussen. Dieser deutsche Wunsch kommt nicht von ungefhr. Ostpreussen ist damals nach zwei Vertrgen, durch acht Eisenbahnverbindungen ber nun polnisches Gebiet, mit Pommern und Schlesien verbunden. Nach den Vertrgen sind die Transitgebhren in Sloti zu zahlen, was auch keine Schwierigkeiten bereitet. Whrend und nach der Weltwirtschaftskrise nimmt Deutschland nicht mehr genug Sloti ein, um die Transitgebhren voll zahlen zu knnen, und so berweist die Reichsregierung immer den an Sloti fehlenden Betrag auf ein polnischen Konto, aber in Reichsmark. Polen sieht darin ein Vertragsbruch, was es formal ja auch war, und schliesst zur Strafe ab 1936 eine Eisenbahnstrecke nach der anderen. 67 % der Eisenbahntransporte jedoch, dienten der Energieversorgung Ostpreussens. Sie fahren Kohle aus Oberschlesien fr Energie-, Gewerbe- und Hausbrand und die Stromerzeugung in die abgeschnittene Provinz. Schliesslich droht Polen einmal damit, bei weiterhin unvollstndigen Sloti-berweisungen auch die letzten Strecken zwischen Ostpreussen und dem Reichsgebiet zu schliessen. Damit wre Ostpreussen von seiner Energieversorgung abgeschnitten und dem wirtschaftlichen Ruin preisgegeben gewesen, wie zwei Jahrzehnte spter Berlin durch die Sowjetische Blockade. So kommt die deutsche Seite auf die Idee, mit den Polen statt ber Sloti-Zahlungen zu sprechen lieber ber exterritoriale Verkehrswege unter deutscher Hoheit und Regie zu verhandeln. Damit ist dieser Wunsch entstanden. Damit stehen 1939 die drei erwhnten deutsch-polnischen Probleme auf der Tagesordnung und zwar nach Dringlichkeit das Los der deutschen Minderheit in Polen, die Transitwege nach Ostpreussen und die Zukunft der Stadt Danzig. Es ist ganz interessant, dass diese Problematik vor Hitlers Amtsantritt schon woanders bemerkt und so gesehen worden ist. So warnt Churchill schon am 24. November 1932 in einer Oberhausrede in London. Er sagt: Wenn die englische Regierung wirklich wnscht, etwas fr die Frderung des Friedens zu tun, dann soll sie die Fhrung bernehmen und die Frage Danzigs und des Korridors ihrerseits wieder aufrollen, solange die Siegermchte noch berlegen sind. Wenn diese Fragen nicht gelst werden, kann keine Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden bestehen. Das waren nicht etwa Worte von Herrn Hitler sondern von Herrn Churchill. Die Ursachen fr den neuen Krieg hatten die Sieger in Versailles selbst geschaffen und sie nicht beseitigt, als die Zeit lngst dafr reif war.

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